Landschaftsstudien – Wolken

Ich gebe euch heute eine Anregung, die euch in ihrer Vielfalt an Möglichkeiten vielleicht eine lange Zeit beschäftigen kann und die ihr immer wieder aufs Neue versuchen und ausprobieren könnt. Und zwar sind das Landschaftsstudien. Ich möchte euch dazu ein Zitat von Hokusai mitgeben, das ist ein japanischer Maler und Zeichner, der bei uns vor allem durch seine Welle berühmt wurde. Aber auch viele andere Holzschnitte und Malereien, die wir aus Japan kennen, sind von Hokusai.

Als er bereits über achtzig Jahre alt war, sagte er, nun glaube er endlich so weit zu sein, um einige Werke von Bedeutung schaffen zu können. Damit meinte er nicht nur die Beherrschung der Vielheit der Dinge, sonst wäre er nicht der bedeutende Künstler, den wir bewundern, sondern ebenso sehr die Erschaffung des totalen Werkes.

Er hat die Natur umfassend studiert. Pflanzen, Gebüsche, Äcker, Wiesen, Wälder, Wege, Wolken, Himmel, Flüsse, Felder, Felsen, Sonne, Mond, und viele Sterne, Licht und Schatten, Tag und Nacht, Regen, Schnee, Dämmerung, Bäume, Steine, Hügel, Berge, Täler, Seen, Schiffe, Gärten, Häuser, Städte, Dörfer, Straßen, Brücken, Tiere, Wagen, Menschen, Eisenbahnen, Flugzeuge, Automobile, Schienen, Telegrafendrähte, alles das sind Themen der Landschaft.

Für diesen Impuls möchte ich euch die Wolken nahelegen. Wenn man das Thema Wolken in den Mund nimmt, so fangen manche sofort an, gedankenlos Wolkenlinien zu zeichnen. Aber ich hätte gerne, dass ihr die Wolken ganz genau studiert. Das kann zunächst einmal die Farbe sein. Ganz zart, ganz leicht. Wolken sind leicht, feucht, luftig, sie schweben. Sie sind hell oder dunkel, sie sind oft fleckig oder massig, sie sind in einer Gruppe oder auch vereinzelt am Himmel verteilt.

Aber Wolken können erst dann als Wolken empfunden werden, wenn sie diese leichte, wolkige Tönung in der Darstellung haben. Noch bevor sie als abstrahierte Linien erlebt werden können, braucht es diese wolkige Tönung. Natürlich sind wir in der Zeichnung immer bei den Linien, aber vielleicht beginnt ihr heute mit dem umgekehrten Weg. Betrachtet also Wolken mit einer sehr wässrigen Tusche oder mit einer ganz zarten Aquarell- oder Wasserfarbe und beginnt mit dem Pinsel ganz zart diese Tönung. Beginnt nicht zu dunkel. Und beginnt nicht, wie Maler und Malerinnen, sofort alles anzustreichen, sondern beginnt damit, mit dem Pinsel kleine Elemente aufzutragen und dort, wo sich die Farbe mehrere Male überlagert, dort entstehen dunklere Stellen.

So studiert ihr mit dem Pinsel und der verdünnten Tusche, Aquarell- oder Wasserfarbe von innen heraus die äußere Form einer Wolke, die sehr abstrakt werden kann, wenn sie auf dem weißen Blatt liegt. Wo sie liegt, das bestimmt ihr, das kommt mit dem Gefühl für das Blatt. Ob ihr eine Wolke auf eurem Blatthimmel habt oder vielleicht zwei oder drei, das müsst ihr erfühlen.

Und wenn es für euch leichter ist, könnt ihr mit dem Lineal eine ganz sensible, horizontale Linie mit dem Bleistift ziehen, dort wo das Land endet und der Himmel beginnt. Keine Hügel, nur eine grade Linie. Wenn ihr dann eine flächige Wolkenformation habt, ist der nächste Schritt, auf einem neuen Blatt die äußere Kontur der Wolke zu erfassen. Mit zarten Linien, die manchmal stärker sind, dort, wo die Wolke etwas dunkler ist. Eine Wolke ist nie hart, sondern hat immer diese Eigenschaft von Weichheit. Auch wenn sie noch so bedrohlich aussieht, weil sie dunkel ist, ist sie doch nie hart in ihrer Kontur.

Diese Wolken, diese weichen, sanften, feuchten, luftigen, schwebenden Gebilde im Himmel, studiert ihr. Der Sommerhimmel ist mit seinen Wolken ganz anders als der Winterhimmel. Ihr könnt Wolken also in allen Jahreszeiten, zu jeder Wetterstimmung studieren. Sind es dichte Wolken, die den ganzen Himmel verdecken? Sind es Gewittertürme, die sich aufbauen? Sind es Schäfchenwolken, wenn sich das schlechte Wetter erst zu bilden beginnt? Sind es Wolken nach dem Gewitter, die sich langsam verziehen, aber sehr flächig sind? Oder sind es die ersten Wolken, die einen wolkenlosen Himmel trüben? Eine Wolke entsteht, eine zweite, und so weiter.

Ihr könnt euch auch in die liegende Position in eine Wiese begeben, wenn es warm genug ist, und die Wolken beobachten wie wir sie als Kinder beobachtet haben und wir plötzlich Formen im Wolkengebilde sehen, plötzlich Tiere oder Menschen oder sonstige Wesen in diesen Wolkenformationen erkennen, die ständig in Bewegung sind, auftauchen und wieder verschwinden. Diese Formen beobachtet ihr wie damals als Kinder, ohne Zeit, ohne Sorgen, einfach nur beobachten. Dieses Schauen aus einer liegenden Position hinauf in den Himmel ist eine sehr schöne, eine sehr friedvolle Angelegenheit. Eine wunderbare Beschäftigung mit der Natur, die wir als Kinder unbewusst geliebt und die wir vielleicht vergessen haben.

Ich wünsche euch ein wunderbares Wolkenstudium. Wolken bedeuten immer auch Regen oder Schnee. Manchmal leider auch Sturm und Hagel oder furchtbare Niederschläge. Aber immer wollen wir, dass diese Wolken, die ihr zeichnet, sanfte Wolken sind, schwebende Wolken, als würden sie nicht mehr bedeuten als einen saftigen Regenguss. Auch wenn ihr dramatische Wolken zeichnet.

Ich wünsche euch einen guten Blick auf die Wolken und alles Liebe!