Raum
Ich möchte in diesem Impuls gerne die Gedanken über den Raum mit euch vertiefen. Um in Richtung Perspektive und Raum vorzudringen, möchte ich diese zwei Begriffe kurz erklären.
Die Perspektive ist prinzipiell eine Errungenschaft der Renaissance. Die Renaissance hat hervorgebracht, dass in der visuellen Darstellung, in Zeichnungen und Bildern, eine Zentralperspektive angelegt wurde, was natürlich mit der Architektur einherging. Diese Zentralperspektive hat einen sogenannten Fluchtpunkt, auf den sich alles im Bildgeschehen ausrichtet und dem sich alles in seiner Form unterordnet, um die Zentralperspektive zu unterstützen.
Also die ganze Organisation im Bild war dieser Zentralperspektive unterworfen. Das hat über viele Jahrhunderte angedauert und die Bilder waren immer unter der Prämisse der Zentralperspektive aufgebaut. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich durch die Entwicklung der Abstrakten Kunst und des Kubismus – und später auch durch den Surrealismus – die Zentralperspektive aufgelöst. Das war wie ein Befreiungsschlag. Die Kunst musste sich diesem Diktat nicht mehr unterordnen, sondern hat sich davon gelöst. Heute im 21. Jahrhundert können wir diese Fragen mit dem weiten Blick der Kunstgeschichte betrachten und für uns in Anspruch nehmen, auch hier wieder zwischen den Möglichkeiten zu navigieren.
Was jedoch in der Perspektive drinsteckt, ist die Räumlichkeit. Dass es vorne und hinten, oben und unten gibt, aber nicht unbedingt eine gelenkte Richtung wie in einer Perspektive, das ist Räumlichkeit. Dieses Denken in Räumlichkeit möchte ich mit euch noch vertiefen und gestalten. Vielleicht erinnert ihr euch, dass wir bereits ein wunderbares Mittel kennengelernt haben, nämlich dass Räumlichkeit auch durch Groß und Klein, durch die Größe der Elemente im Bild definiert werden kann.
Das heißt, es gibt im Bild etwas Großes und etwas viel, viel Kleineres und schon entsteht dadurch eine Entfernung, eine Distanz von vorne und hinten. Die Räumlichkeit können wir auch durch Hell und Dunkel bestimmen. Allein diese Unterschiede, diese Nuancierungen, verleiten uns dazu, in diese Vorstellungkraft des Raumes hineinzugleiten.
Dazu heute zwei Übungen, die euch Spaß machen werden. Nehmt ein Blatt und ein entsprechend langes Lineal, das auch in der Diagonale über das gesamte Blatt geht. Zunächst verteilt ihr mit dem Lineal zarte Linien in alle Richtungen, die sich überschneiden: diagonal, horizontal, vertikal, wie auch immer.
Aber es sind gerade Linien, eben mit dem Lineal gezogen, also nicht gebogen und nicht wellig, und sie gehen kreuz und quer über das ganze Blatt. Dann nehmt ihr einen stärkeren Stift und spielt dasselbe Spiel noch einmal. Zieht über das ganze Blatt ein paar dieser kräftigeren Linien. Und dann nehmt ihr einen noch weicheren Stift und macht noch kräftigere Linien darüber. Versucht vielleicht drei oder vier verschiedene Strichstärken und Dunkelheiten – von zart nach kräftig – mit dem Lineal zu verteilen, die immer wieder von einer Bildkante zur anderen gehen, in allen Richtungen.
Wenn ihr entsprechend viele Linien habt, stoppt ihr und schaut, welche Räumlichkeit ihr erzeugt habt. Ihr werdet feststellen, dass das wunderbar ist. Das ist eine so einfache Übung, die sich ausbauen lässt und vielleicht fallen euch noch viele Erweiterungen ein, dieses Spiel ist unendlich erweiterbar. Ihr könnt zum Beispiel mit Blau- oder Rottönen arbeiten, oder eben mit Grauwerten, wo ihr ganz dichte Räume erzeugt oder nur wenige zarte Linien habt und damit schon klar und deutlich einen Raum definiert. Probiert es aus.
Für die zweite Übung arbeitet ihr mit Tusche und Pinsel. Nehmt einen weichen Borstenpinsel von ca. 1 cm Breite, was ihr eben gerade zur Verfügung habt, und taucht ihn in die Tusche und dreht ihn auf einem weißen Blatt Papier um die eigene Achse. So entsteht eine runde Fläche. Und dann spielt ihr mit der Sättigung der Tusche und setzt mehrere dieser runden Flächen auf ein Blatt. Es sind immer dieselben Elemente, immer gleich groß und rund, aber unterschiedlich im Grauwert, von sehr kräftig zu sehr zart.
Diese Elemente streut ihr über das Blatt und dann schaut, was sich tut. Welche Lichtphänomene kommen in das Blatt hinein? Welche räumlichen Beziehungen entstehen? Auch hier könnt ihr wieder variieren: Zum Beispiel könnt ihr ein Blatt mit vielen kräftigen, kleinen, runden Elementen machen, aber eines ist vielleicht ganz zart. Dieses eine zarte erzeugt so viel Räumlichkeit, dass ihr staunen werdet. Oder ihr nehmt sehr viele unterschiedliche Grauwerte und nur ein paar wenige schwarze. Ihr könnt viele Elemente ins Bild geben, ihr könnt auch nur ein paar ins Bild geben. Versucht mehrere Blätter und spielt mit damit.
Das ist eine scheinbar leichte Aufgabe, die jedoch unglaublich viele Möglichkeiten bietet und vor allem dazu dienen soll, dass es euch Spaß macht, zu entdecken, was Raum bedeutet. Natürlich auch was Licht bedeutet, aber die Räumlichkeit steht im Vordergrund. Schaut euch genau an, welche Räume ihr dadurch erzeugen könnt!
Ich wünsche euch sehr viel Mut, sehr viel Spaß und alles Liebe!