Struktur eines Getreidefeldes
Mit dem Impuls Sprung ins Wasser berührten wir das Element Wasser. Diesmal wollen wir uns dem Element Erde widmen. Es geht mir darum, dass ihr euch verschiedene Strukturen genauer anschaut. So wie beim Wasser, da gibt es unterschiedliche Qualitäten: eine ruhige Wasseroberfläche, eine bewegte Wasseroberfläche, ein Sprung ins Wasser. Es gibt noch einige weitere Vorstellungen, wie ihr Wasser zeichnerisch erzeugen könnt. Das könnt ihr gerne weiter ausprobieren, damit ist das Thema ja nicht beendet. Ich möchte euch aber andere Dinge anbieten, mit dem Element Erde.
Bei diesem Impuls geht es um ein Getreidefeld. Und um die strukturelle Identität. Es ist dies eine weitere Grundübung, um zu verstehen, was die Totalität im Bild bedeutet. Ich spreche diese Totalität immer wieder an, weil sie im Grunde genommen ein schwieriger Verständnisbegriff ist und dennoch leicht geübt werden kann. Die strukturelle Identität im Bild ist gleichzeitig die Garantie für die Totalität im Bild.
Für die Ganzheit, die Gesamtheit des Bildeindruckes. Zuerst scheint es ganz einfach, wenn die Aufgabe ist, ihr macht nur Linien. Doch es war eine herausfordernde Übung, nur mit Linien den Ausdruck von Wasser zu suchen. Aber wir haben gesehen, es funktioniert. Diesmal werdet ihr nur Striche, kurze Striche, brauchen. Ihr könnt eine Kornähre genauer studieren, eine Weizenähre oder auch Hafer, da funktioniert es ein bisschen anders.
Vielleicht habt ihr ein Weizenfeld vor eurem Haus oder dort, wo ihr spazieren geht. Sonst fertigt euch Fotos an. Auf jeden Fall beginnt ihr damit, das einzelne Korn zu studieren. Danach eine Ähre, so dass ein bisschen Naturstudie dabei ist. Und am Ende das ganze Feld. Das braucht dann die Wiederholung von dem, was ihr im Einzelnen studiert habt.
Natürlich gibt es auch Bilder, die ganz viele verschiedene Situationen und nicht nur ein Element, wie Linien oder kurze Striche, zeigen. Warum haben diese Bilder trotzdem eine strukturelle Identität? Warum haben die Werke von Bruegel oder Bosch strukturelle Identität? Weil alle Formen miteinander verwandt sind, die Farben zusammenklingen, der Pinselauftrag immer derselbe ist.
Das ändert sich nicht, egal wie viele Situationen gezeigt werden. Wir studieren das jetzt im Einfachen. Bei einem Kornfeld beschäftigt uns die strukturelle Identität des Bildes sehr, weil wir viele Unterschiede sehen. Hell und Dunkel, gerade und kurze Linien, die einen biegen sich so, die anderen so. Dazwischen gibt es feine Linien durch die Kornähren. Also es gibt viele Details, die solch eine Struktur aufbauen.
Das Geheimnis ist nur, dass ihr die Striche in der Zeichnung immer in derselben Weise behandelt. Dass ihr die Ähre so behandelt wie auch den fernen Hügel. Nun hat die Ähre eine leichte Krümmung, der Hügel aber eine starke Krümmung. Da brauchen wir dann die Formwiederholungen. Wenn wir genau schauen, dann finden sich Verdichtungen, wie beim Hügel im Hintergrund, auch in Dunkelheiten im Kornfeld. Und so wiederholen sich subtil im Kornfeld die Strukturen des Hügels. Diese Formwiederholungen schließen das Ganze dann zusammen. Genau so funktioniert das auch bei den großen Meistern. Sie wiederholen die Formen.
Wenn ihr also die Bilder der Meister anschaut, dann werdet ihr sehen, dass dieselben Formen immer wieder vorkommen. Einmal krümmen sie sich links und einmal eben rechts. Mal sind sie mehr aufrecht, mal liegen sie. Hier sind sie größer, dort kleiner. Aber sie wiederholen sich. Genauso bei den Farben: Wenn ihr auf die Flecken der Farben schaut, dann ist das Weiß beispielsweise im Hemd dasselbe Weiß wie in der Kutsche und das Weiß im Hund. Es gibt grüne Flecken, rote Flecken, die sich überall verteilen. Also auch die Farben wiederholen sich. Wir haben es leichter, wir verwenden nur den Bleistift, haben also nur einen Parameter. Die Linie, die nur heller oder dunkler, kräftiger und zarter sein kann. Dadurch ist das eine sehr gute Vorstudie, um später zur Malerei zu kommen.
Diese Totalität im Bild ist vor allem unter dem Aspekt sehr wichtig, dass manche meinen, ihr Bild ist dann nicht interessant. Dann kritzeln sie was am Rand herum und meinen, sie hätten Spannung erzeugt. Tatsächlich erzeugt das aber nur Unruhe und Konfusion, weil das Auge anfängt zu springen. Dadurch wird das Bild unruhig und der Betrachter kann sich nicht mehr auf das ganze Bild konzentrieren.
Wenn ihr die Werke der großen Meister, wie Bosch und Bruegel, mit parallelen Augen anschaut, dann springt euer Auge nicht, sondern es kann ganz ruhig verweilen und mit einem Blick erkennen: Aha, da geht’s um ein Fest, da ist die Freude, das Getümmel des Festes zu sehen. Oder wir sehen auf einen Blick die dunkeln Wolken und die dunkle Atmosphäre und die Fratzen und Gebeine, wenn Bosch in seinen Bildern den Weltuntergang beschwört. Aber nicht das Hin- und Herspringen vom Auge, sondern das Zusammenfließen von Formen ist es, was Stimmung erzeugt.
Und über diese Stimmung, die das Bild zum Ausdruck bringt, über diese Formwiederholungen kommt der Betrachter zu seinem Eindruck von dem Bild. Wenn man sich die einzelnen Formen genau anschaut, sieht man, dass sie eigentlich einen hohen Grad an Abstraktion aufweisen, obwohl diese Formen realistisch zu erkennen sind. Diese Felder berühren einander. Das Abstrakte und das Realistische, die Formwiederholung, die strukturelle Einheit im Bild und die Totalität. Das sind Paare, die nicht auseinander zu denken sind. Und das lade ich euch ein, in diesem Kornfeld zu üben.
Einen Gedanken möchte ich noch zum Element Erde mitgeben. Während das Element Wasser für die Gefühle steht, steht das Element Erde für das Schöpferische. Die Erde ist sehr vielfältig. Sie kann aus Humus, Sand oder Steinen bestehen, in ihr können Edelsteine versteckt sein, sie kann trocken oder feucht, dicht oder locker sein. Sie kann fruchtbar sein und Früchte generieren. Feldfrüchte, oder auch Obstfrüchte. Also, die Erde nährt uns auch.
Aus dem Korn der Getreidefelder können wir Mehle machen, daraus dann Teige, Brot. Grundnahrungsmittel, die wir täglich zum Leben brauchen. Mit dem Wasser vom Himmel, mit der Sonne vom Himmel, mit der Erde darunter und manchmal auch den Winden, ob Sturm oder einer leichten Briese, die die Ähren bewegen. So sind die Elemente ständig um uns, wir sind in sie eingebettet. Mit dieser Demut, mit dieser Dankbarkeit für dieses Wunder, dass uns die Erde so einfach gibt, was wir zum Leben brauchen, sollt ihr an diese Aufgabe herangehen.
Wir sind ohne die Elemente, ohne die Natur nicht zu denken. Wir sind Teil der Natur. Sie nährt uns und gibt uns das Leben auf diesem Planeten. Ich wünsche euch für diese Übung viel Muße, dass ihr euch gut dehnt und streckt, dass ihr euch gut fühlt und die Freude habt, die ihr braucht und die liebevollen Augen, mit denen ihr einerseits aufs Zeichnen schaut und andererseits auf eure Bilder.
Falls das zu viele Informationen auf einmal waren, könnt ihr so beginnen: Ihr schaut auf das Foto oder auf das tatsächliche Kornfeld. Schließt die Augen. Und beginnt eure Zeichenaufgabe blind. Und erst später versucht ihr die Naturstudie mit offenen Augen.
Viel Freude und gutes Gelingen!