Gefäße – Flaschen
Nachdem wir uns im letzten Impuls der Teezeremonie gewidmet haben, mit Teetassen und Teekannen, möchte ich heute gerne das Prinzip von Gefäßen mit euch durchdenken. Eine Teetasse, eine Teekanne, das sind Gefäße, in dir wir etwas hineinfüllen können, und das hat in der Menschheitsgeschichte eine große Bedeutung. Man hat sehr früh begonnen, aus Lehm Gefäße zu machen, um etwas darin aufzubewahren. Diese Gefäße haben sich mit der Zeit weiterentwickelt, aber sie haben immer eine Bedeutung für den Menschen in seiner Geschichte.
Die frühesten Funde der Archäologie haben immer mit Gefäßen zu tun. Man sagt auch, dass wenn wir im Traum eine Schale sehen, das etwas mit der eigenen Identität zu tun hat. Und so haben ganz allgemein Gefäße eben mit der Identität der Menschheit zu tun, weil wir aus diesen alten Gefäßen sehr viel von der Kultur ablesen können.
Diese Gefäße aus Keramik haben später auch Verzierungen erfahren, sie wurden bemalt oder anders verziert, je nach der kulturellen Ausprägung, nach der Ausdrucksform, sodass man dadurch zuschreiben kann, woher die Gefäße stammen. Gefäße haben immer auch als Grabbeigaben funktioniert, darum sind Gräber besonders aufschlussreich, um etwas über die Kultur der jeweiligen Zeit in Erfahrung zu bringen.
Bei den Römern gab es ein ganz spezielles Gefäß, das ich so interessant finde, und zwar sind das die Tränengläschen. In dieser Zeit waren kriegerische Auseinandersetzungen an der Tagesordnung, es wurde immer irgendwo gekämpft. Und wenn ein Soldat, ein Kämpfer des Römischen Reiches wieder in den Kampf ziehen musste, hat er seiner Frau ein Tränengläschen gegeben, in das sie hineinweinen musste, um ihm zu beweisen, wie sehr sie getrauert hat. Wenn er also aus dem Kampf zurückkam, wurde geschaut, wie viel sie geweint hat. Wie traurig war sie denn wirklich?
In der Stadt Zadar in Kroatien gibt es ein großes Glasmuseum aus der Römerzeit, weil in der Nähe, in der Stadt Nin tausende solcher Gläschen gefunden wurden. Denn auch diese Gläschen waren letztlich eine Grabbeigabe. Zu der Zeit gab es Urnenbestattungen und man hat um das Gläschen eine äußere und eine innere Keramikschale gegeben. Meistens war eine davon zerbrochen, aber eine war dann doch noch erhalten, als man sie fand und waren drinnen die wunderbaren Tränengläschen.
Das Glas hat über die Keramik hinaus noch einmal einen weiteren evolutionären Schritt in der Geschichte. Damit komme ich zu unserer Aufgabe.
Heute ist für uns Glas selbstverständlich, die vielen Hochhäuser, die mit Glasfassaden verspiegelt sind, die Fensterscheiben, das war früher überhaupt nicht selbstverständlich, und schon gar nicht war es selbstverständlich, aus einem Glas zu trinken. Das war früher eine sehr, sehr große Besonderheit und heute gibt es dieses Trink-Glas in jeder erdenklichen Form.
Gläser werden gesammelt, es gibt wunderbare zeitgenössische Glasformen, aber ich meine eher diese alltäglichen Gläser, die eigentlich keinen Materialwert haben und industriell gefertigt sind. Ich rege euch an, in eurem Haushalt zu schauen, welche Gläser es gibt. Was gibt es in euren Schränken? Was gibt es im Keller? Gibt es Gefäße aus Glas, die ihr in eurem Heim beherbergt? Und dann schaut. Stellt sie nebeneinander auf und studiert diese Gläser.
Sie können transparent sein oder farbige Gläser sein, die wir dann im Altglas unter Buntglas entsorgen. Wir bewahren heute alles mögliche im Glas auf, Essig im Glas, Öl im Glas, Marmelade und Honig und andere Aufstriche, Oliven, eingelegtes Gemüse wie Essiggurke, Bier, Wein, Schnäpse, Fruchtsäfte, Coca Cola, Whiskey und so weiter. Aber vielleicht auch Cremen oder andere Produkte. Dann gibt es aber auch die Gläser, aus denen wir trinken. Wir müssen uns also festlegen, welche Gläser wir fürs Zeichnen nehmen, und ich würde euch gerne die Flaschen vorschlagen. Ihr zeichnet also die Fläschchen und Flaschen, die ihr in eurem Haushalt findet. Ihr stellt einige davon auf, aber mindestens eine studiert ihr wirklich gut.
Mir fällt ein wichtiger Moment für die Flasche aus der Kunstgeschichte ein: In der Kunst des 20. Jahrhunderts, als Andy Warhol plötzlich die Coca-Cola Flasche als Icon, als gefundenes Objekt in die Pop Art übernommen hat, ist plötzlich allen bewusst geworden, was für ein Design, was für ein Kunstwerk diese Coca-Cola Flasche und auch das Label mit dem Schriftzug ist, was seither immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen bemüht wird.
Das war eine großartige Erfindung und ist bis heute unverändert. Wir haben also heute Formen in Flaschen, die wir schon lange kennen. Auch die österreichische Marke Almdudler hat so eine charakteristische Flasche, die man leicht wiederkennt. Auch das Label ist besonders, da ist ein tanzendes Pärchen in weiß auf der Flasche aufgedruckt. Diese Feinheiten könnt ihr ganz genau beobachten. Ihr studiert also die äußere Form der Flasche und wenn etwas Besonders im Label, im Design der Flasche ist, könnt ihr das in die Zeichnung mithineinnehmen. Dann schaut ihr, welche Größenverhältnisse diese Flaschen haben und wie sie zueinanderstehen.
Ich denke, das ist eine sehr anregende, schöne Sache. Habt ihr bunte Flaschen und buntes Glas, könnt ihr gerne die Farbe dazu nehmen. Aber wie immer liegt auf der Kontur, auf der Linie unser Hauptaugenmerk und natürlich auch auf der Komposition, in diesem Fall den Abständen der Flaschen. Wie stehen sie zueinander, sind sie parallel oder mit unterschiedlichen Abständen, sind sie groß oder klein, sind sie vorne oder hinten? All diese Möglichkeiten stellen sich euch zur Aufgabe. Und vergesst eure Parfumflaschen nicht.
Ich wünsche euch gutes Hinschauen, geht auf die Suche nach euren Flaschen! Ihr findet sicher ein paar in eurem Haushalt und dann zeichnet ihr sie. Denkt an diese großartige Entwicklung der Menschheit, so weit zu kommen, dass wir heute eine Flasche ganz selbstverständlich verwenden und sie uns gar keine Mühe mehr bereitet, weil alles industriell gefertigt ist, weil es so billig ist, weil es so einfach ist und uns ganz und gar selbstverständlich erscheint, was es aber nicht ist.
In diesem Sinne, studiert die Flaschen!
Alles Liebe!