Einfühlung in das Wesen der Iris

Wir beschäftigen uns dieses Mal mit der Iris, mit der Schwertlilie. Die Iris gibt es in verschiedenen Formen und Farben. Sie ist unglaublich prachtvoll, aber kurzlebig. Die Blüte blüht nur wenige Tage. Aber sie hat eine sehr schöne Bedeutung. Sie steht für eine positive Nachricht. Sie ist auch ein Symbol für Kreativität, für Energie, für Beständigkeit. Wenn man eine Iris schenkt, dann sagt man damit der beschenkten Person: „Ich stehe bedingungslos zu dir.“ Also, die Schwertlilie ist ein Zeichen der Treue. Sie ist auch ein Symbol in der französischen Geschichte. Da wurde die Iris als Wappenzeichen für die französische Monarchie entwickelt. Die Bourbonen haben damit begonnen. Daher ist die Iris ein sehr berühmtes Symbol für das französische Königreich. Auch heute wird sie gerne als Symbol hergenommen, oder auch zum Beispiel als Tattoo.

Die berühmtesten Iris sind wohl die von Vincent van Gogh. Es lohnt sich sehr, diese vielen unterschiedlichen Ideen, die er für Iris gemalt hat, einmal zu studieren und sich anregen zu lassen.

Das Motiv taucht immer wieder auf. Die Iris wird inzwischen auch gezüchtet und kommt in vielen Gärten vor. Aber es gibt sie auch wild, da ist sie kürzer und etwas kleiner.

Wenn man die Schwertlilie ganz genau anschaut und versucht, einen Blick in dieses Wundergebilde hineinzuwerfen, dann kann man sehr viele Geheimnisse entdecken. Die sonst nur die Bienen und Hummeln kennen. Die Blüte bildet sich wie drei Kammern. Drei Blütenblätter biegen sich nach oben, drei nach unten, und bilden Tore und laden das Insekt ein, sie zu bestäuben. Wenn man in eines dieser Tore hineinschaut, dann sieht man eine sehr schöne Zeichnung in den Blättern. Und natürlich sieht man auch die Staubgefäße gelb herausleuchten.

Außerdem ist das Blütenblatt selbst von einer sehr feinen Maserung durchzogen. Man kann das bei den helleren Formen besser erkennen. Und es hat praktisch jede Blüte eine andere Zeichnung und Maserung, die für unsere Zeichnung eine fantastische Grundlage bildet. Ich lade euch also ein, diese Iris genau anzuschauen.

Ich schlage diesmal zwei Möglichkeiten vor. Die eine Möglichkeit ist, eine wirkliche Naturstudie einer Blüte zu versuchen. Wenn ihr wollt, auch das Blattwerk dazu. Da kommt es zunächst auf die äußere Linie an. Darauf, die äußere Kontur, die Doppellinie bei den Blättern und die anderen Konturen einfach zu versuchen.

Die zweite Möglichkeit ist, das Innere der Blütenblätter ein bisschen heranzuziehen (zoomen) und einige wenige Linien daraus zu studieren und auf das Zeichenblatt zu setzen. Die müssen keinen Zusammenhang mehr herstellen, können aber. Aber ihr habt einige Linien daraus abgeleitet und könnt abstrakt damit weiterarbeiten. Wie weiterarbeiten?

Indem ihr diese Linien, die ihr gefunden habt, aufs Blatt setzt und sie dann in einer zweiten Linie physisch stärker, aber ganz schmal, betont. Dann könnt ihr mit Farbe, Kohle, Tusche, Ölkreide oder mit vielen Bleistiftlinien von außen die Fläche dunkel machen oder mit Farbe gestalten. Innen die Linien freilassen. Ihr könnt auch eine Farbe nehmen, die ihr aus der Lilie herausnehmt, ein zartes Lila, ein kräftiges Blau, ein Gelb, oder ein dunkles Rot, je nachdem, was euch gefällt. Je nachdem, welche Lilie ihr habt. Um quasi nur die Umgebung zu gestalten. Nur die Form. Und die Linien freilassen, die ihr gefunden habt.

Wenn ihr diese Lilien anschaut, dann schaut ihr mit dem zeichnerischen Auge hin. Ihr schaut: welche Linien kann ich entdecken? Ihr könnt die Konturlinie entdecken, die die Begrenzung der Blüte ist. Ihr könnt die Linien verfolgen, die innerhalb der Blütenblätter sind. Dann stellt ihr fest, dass in der Mitte des Blattes, von innen nach außen, sich aus einer Geraden drei Linien – eine Mittellinie und zwei begleitende Linien – heraus entwickeln, die dann in weiterer Entfernung annähernd noch ein paar Geraden haben.

Dazwischen verästeln sie sich dann in solche Linien. Ihr könnt Linien im Blütenstaubgefäß feststellen. Im Innenblatt ist es wie eine Narbenlinie in dieser blauen kleinen Blüte (oder jede andere Farbe, die die Scheide der Blüte noch einmal betont, wo die Blüte sich nach links und rechts hinunterbiegt). Also ihr habt sehr viele Möglichkeiten, diese Linien zu studieren. Ihr könnt das sehr genau machen. Oder ihr könnt einige wenige davon nehmen. Ihr könnt das intuitiv machen. Intuitiv, wenn ihr das Objekt sehr gut betrachtet, es spürt, es fühlt, diese Zartheit fühlt, diese Fragilität fühlt. Und sogleich diese Präsenz, weil die Blüte so groß ist. Dann auch tief durchatmet. Und tief verinnerlicht und vergegenwärtigt, was euch visuell begegnet und euch tief einfühlt.

Es ist die Empathie, dieses Sich-Einfühlen-Können in das Gesehene, das sich dann so wunderbar in das Intuitive hineinsenkt. Einfließt. Und euch dann leitet in dem ganz intuitiven Führen des Bleistiftes oder des Farbstiftes. Euer Zugang ist ein sehr persönlicher. Und das soll auch so sein. Wählt also einen, der euch entspricht. Wo jeder für sich sagen kann: das ist mein Zugang, den ich finde.

Oder ihr sagt, das ist ein neuer Zugang, den ihr versucht, für euch zu erschließen. Oder ihr sagt, ihr möchtet euch ganz tief in das Wesen dieser Pflanze einfühlen. Dies ist eine Übung der Empathie, des Sich-Einfühlens. Einfühlung ist eine Grundvoraussetzung für die Zeichnung und auch für die Malerei. Na und auch, dass wir es uns in unserem Zusammenleben schön gestalten. Ohne Einfühlung wird die Gesellschaft auseinanderfallen.

Diese Einfühlung kann man in einer sehr schönen Art und Weise im Zeichnen und in der Malerei üben. Aber das Einfühlen setzt voraus, dass man sich zuerst in sich selbst einfühlt. Sich selbst wahrnimmt. Sich selbst spürt. Den eigenen Körper spürt. Wie sitzt er jetzt gerade da? Wie fühlt er sich an?

Das Einfühlen hat auch damit zu tun, dass ihr euch vergegenwärtigt, dass ihr Teil eines großen Ganzen seid. Dass irgendwo auf der Welt auch jemand an seinem Zeichentisch vor einem Blatt Papier sitzt und sich in das Zeichnen und in seinen eigenen Körper einfühlt. Dass ihr euch in euch selbst, als ein Wesen der Natur einfühlt. Auch Pflanzen sind Wesen der Natur. Ihr könnt euch in sie hineinfühlen. Dieses Wir-Gefühl, dieses Gruppengefühl, das durch das Zeichnen entstehen kann, dürft ihr besonders genießen.

Mit diesen Gedanken möchte ich euch in den heutigen Zeichentag schicken und euch sehr viel Erfolg und Inspiration wünschen.