Vom Dunkel ins Hell

Licht und Geheimnis in einer Zeichnung, fließende Übergänge, strukturelle Identität

Wir haben mit dem Kritzeln begonnen. Das lockert und sorgt dafür, dass wir die Grundbegriffe der Linie verstehen. Mit der Geometrie ist auch schon ein Konzept dazugekommen. Also eine Begrenztheit, die man ganz wissentlich sucht. Diesmal kommt die Idee dazu, vom Dunkel ins Hell zu zeichnen.

Ihr nehmt ein Zeichenblatt, das ihr im Hochformat vor euch hinlegt. Entweder macht ihr einen kleinen Bleistiftrand parallel zur Papierkante, 3-4 cm von der Papierkante entfernt, oder ihr lasst es so wie es ist. Das Ziel ist, dass ihr diesmal eine Übung von Dunkel nach Hell macht. Wir brauchen dann, wenn wir weiter fortschreiten, diese Grundbegriffe von Linie und Licht. Daher ist Licht heute unser Thema, von Dunkel nach Hell.

Wie geht das? Also: Ihr könnt gerne wieder eine Musik zugrunde legen, die euch inspiriert. Aber es kann auch still sein. Dieses Dunkel nach Hell heißt, dass die Linien in der dunkleren Seite dichter und kräftiger sind, so dass es dunkel wird. Hell heißt, dass die Linien luftiger und zarter werden. Aber Dunkel nach Hell heißt auch, dass es einen stufenlosen Übergang gibt. Versucht, dass ihr euch wirklich darum bemüht und daran arbeitet. Ich kann euch sagen, es ist eine kleine Anstrengung dahinter, ein Durchhaltevermögen, und auch ein Immer-wieder-Drübergehen, bis eben dieser stufenlose Übergang so weit als möglich funktioniert. Ihr müsst die Hand sehr gut kontrollieren. Ihr könnt kleinere Elemente machen, sodass ihr diese Elemente im Übergang besser streuen könnt. Das können Striche sein, das können kleine Kritzeln sein, die dichter sind und dann weniger dicht und auch zarter in der Linie werden und dadurch viel duftiger strahlen. Bei dieser Aufgabe seid ihr mit kurzen Elementen besser bedient. Probiert vorher mal auf einem Blatt aus, wie die kurzen Strichelemente aussehen können. Ob sie nur Striche sind, oder ob es kleine Kritzelmonster sind oder kleine runde Elemente oder in irgendeiner Form gekritzelte kleine Elemente. Auf die einigt ihr euch für euch selbst und die müsst ihr dann beibehalten. Die strukturelle Identität, die damit überall anklingt, möchte ich als Begriff einführen. Das heißt, wenn ihr einmal euer Zeichenmodul gefunden habt, wie ihr von Dunkel nach Hell geht, dann nehmt ihr das und das bleibt verbindlich für diese Arbeit. Wenn es Striche sind, sind die Striche ganz eng und dunkel und werden immer weniger dunkel und sind weiter auseinander. Das Gleiche bei den Kritzelelementen, die sind zuerst ganz eng und übereinanderliegend und der Bleistift wird sehr kräftig angedrückt und dann wird es nach unten hin weniger, also weniger stark und weniger dicht.

Ein schöner fließender Übergang soll dabei herauskommen. Das wird vielleicht sogar mehrere Anläufe brauchen. Ihr müsst immer wieder über das Blatt gehen, so dass ihr diesen stufenlosen Übergang bekommt. In der Natur kann man Sonnenuntergänge oder Sonnenaufgänge gut beobachten, wo dieser stufenlose Übergang so ganz zart und zauberhaft von Dunkel nach Hell funktioniert.

Diesen Übergang werden wir später auch noch brauchen. Jetzt ist es eine Übung, die sich nur auf den Übergang selbst konzentriert.
Was sind Übergänge? Übergänge sind sehr sensible Bereiche. Wir haben verschiedene Übergänge. Wir haben Übergänge, die eine Grenze bilden von absolut dunkel zu plötzlich hell. Oder von Wasser zu Land. Oder von Land zu Luft. Oder von Land zu Feuer. Das sind Begrenzungen. In der Natur können wir, wenn wir in einem Element bleiben, auch farbliche Übergänge beobachten. Zum Beispiel im Meer oder an Seen. Wer lieber mit Farbe arbeitet, dem sei die Farbe sehr gegönnt. Aber bleibt dann bitte in einer Farbe. Ich sehe das Blau als die einfachste Farbe für solche Übergänge. Aber natürlich ist auch das dunkle Graphit sehr schön im Übergang. Mit Tusche und Pinsel würde es genauso gehen. Aber das ist nur für die Mutigen und Erfahrenen.

Die Übergänge sind also sensible Bereiche. Auch bei Träumen haben wir Übergänge, von wach und schlafend. Besonders bei luziden Träumen. Das sind Phasen im Schlaf, wo es schwimmende Übergänge zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein gibt. Oder der Übergang von einer Jahreszeit in die andere. Der ist auch sehr fließend. Sehr langsam und sehr fließend, da gibt es keinen wirklichen Sprung. Manchmal hat man das Gefühl, wenn es lange trocken war und dann endlich regnet, dass plötzlich alles grün ist. Ja, da gibt es dann kleine Sprünge. Aber sonst entwickelt sich in der Natur alles fließend. Wie sich eine Blüte entwickelt, wie sich ein Baum entwickelt, wie sich Leben entwickelt, von der Eizelle bis zu deren Befruchtung und wie Stufe für Stufe Zellen dazukommen, bis eben das Wesen Mensch oder das Wesen Tier entsteht. Diese Themen liegen dem Übergang zugrunde, so ein fließender Übergang ist das Ziel.

Setzt euch wieder bewusst hin, tut euch gut, indem ihr entspannt, euch spürt, gut durchatmet. Auch dadurch gibt es einen Übergang vom Alltagsbewusstsein hin zum ästhetischen Bewusstsein. Nämlich dem Zeichnen mit dem Bewusstsein auf die Spitze des Bleistifts bis zum inneren Impuls, loszulegen.

Gutes Gelingen!