Der Punkt

Die Aufgabe mit der elementaren Ordnung habt ihr in den beiden vorangegangenen Impulsen schon gelöst und dabei gemerkt, dass damit die Grundlagen jeder Komposition, die grundlegenden Fragen der Komposition geübt und eingefühlt werden. So möchte ich in diesem Impuls noch ein bisschen ins Detail dieser Übung gehen, und zwar mit dem Punkt. Leonardo da Vinci sagt: „der Anfang zur Wissenschaft der Malerei ist der Punkt.“

Das ist interessant, weil einem Punkt meistens nicht viel Bedeutung zumessen wird. Aber der Punkt ist sehr vieldeutig. Als Punkt kann man einen Punkt am Ende des Satzes verstehen. Oder auch eine richtige Kreisfläche, die sich am Bild wie ein Punkt auswirkt. Es kann ein heller Punkt sein, ein dunkler, ein farbiger. Es kann ein Schnittpunkt von Linien sein. Es kann die Steigerung eines Tons sein, bei welchem am Ende ein Punkt steht. Es kann ein Kraftpunkt sein und es kann ein Treffpunkt sein, ein Treffpunkt von farbigen und strukturellen Flächen. Jeder Punkt ist also ein Kraftzentrum. Im Grunde genommen ist es eine Macht, die der Punkt behauptet, und diese behauptet er dann, wenn der richtige Platz des Punktes in Bezug auf das gesamte Blatt und eben der Nachbarpunkte einen Dialog mit der eigenen Größe und der Intensität bildet.

Ihr seht schon, ein Punkt ist gar nicht so einfach. Der Punkt kann strahlen oder sich konzentrieren. Ein dunkler Punkt zieht in sich ein und ein heller Punkt strahlt. Das hängt auch mit den Farben zusammen, zum Beispiel zieht Blau prinzipiell Farbe ein und das Gelb strahlt. Aber wir sprechen vorerst nur von hell und dunkel. Wenn ihr zwei Punkte verwendet, entsteht zwischen den zwei Punkten ein Kräftespiel. Ihr könnt also zwei gleich große Punkte nebeneinander machen, sozusagen ein Doppelpunkt.
Wenn ihr das schafft, einen Punkt am Blatt richtig zu setzen und in einem weiteren zwei Punkte parallel, gleich groß, schön schwarz auf der weißen Fläche zu definieren, dann ist das schon eine super gelungene Angelegenheit. Ist allerdings ein Punkt größer und einer kleiner, entsteht sofort eine kleine Unruhe. Dann braucht es einen dritten Punkt. Ihr könnt nicht einen größer und einen kleiner als zwei Punkte am Blatt lassen, ohne einen dritten dazu zu nehmen.

Die Spannung von zwei Punkten ist also abhängig von der Größe und vom Abstand. Eine zu große Entfernung oder eine zu große Nähe heben diese Spannung auf. Das heißt, ihr müsst beim Gestalten fühlen. Es gibt mehrere Möglichkeiten zur Gestaltung, wenn ihr es analytisch betrachten wollt: Gleiche Abstände, gleiche Größen. Ungleiche Abstände aber gleiche Größen. Ungleiche Größen aber dieselben Abstände. Ungleiche Größen und ungleiche Abstände. Diese vier Möglichkeiten könnt ihr ausprobieren.

Oder ihr geht in eine Sternwarte und betrachtet den Jupiter. Da habt ihr 3 Punkte. Den Planeten mit zwei Monden, die wie ein Doppelpunkt neben diesem großen Planeten erscheinen. Auch etwas, das wir in der Natur beobachten können.

Die Größen selbst bedeuten entweder eine Qualität von Kraft oder eine Quantität von Kraft. Das kann sehr unterschiedlich sein, je nachdem, wo der Punkt sitzt. Die gleich großen Punkte bilden meistens Gruppen und auch Formfiguren. Die ungleichen Punkte sind kontrastierend, manchmal sogar feindlich, die streiten miteinander. Ihr könnt eure Punkte auch anordnen. Ihr könnt sie anordnen als einen zentralen Punkt in der Mitte. Ihr könnt sie nebeneinander als Doppelpunkt anordnen. Ihr könnt sie als Kreis anordnen.

Ihr könnt sie in der gleichen Größe aber in ungleichem Charakter anordnen. Ihr könnt sie auch wie in einem Dreieck anordnen, gleiche Größen, ungleiche Charaktere. Und ihr könnt sie auch quadratisch ordnen, auch da wieder ungleiche Größen und ungleiche Charaktere.

Diese Charaktere entwickeln sich auch durch die Behandlung in der Fläche im Inneren des Punktes. Bitte achtet darauf, dass ihr in der strukturellen Identität bleibt. Das heißt, eure Punkte sind auf einem Blatt immer gleich definiert. Mit kurzen Strichen oder mit kreisförmigen Linien, wie ihr wollt, aber auf einem Blatt ein Charakter.
Ihr könnt auch einen Punkt in seiner Fläche schwarz machen und den anderen Punkt umschreiben und so transparent erscheinen lassen. So könnt ihr Spannung zwischen diesen Punkten erzeugen und sie in Beziehung setzen.

Ich hoffe, dass euch dieses Spiel mit den Punkten, das sehr einfach erscheint und zugleich komplex ist, mit Freude und tief durchdacht zum Experiment dient.