Phönix
Es gibt zwei große Gebiete, um das Thema Metamorphosen und Transformationen zu bearbeiten. Das eine ist die Entwicklung einer Form, und das andere ist die Stimmung, in der sich diese Form befindet. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Phönix. Wir alle kennen den Spruch „Wie ein Phönix aus der Asche“ für etwas, von dem man glaubt, es ist schon verloren, das aber dann in neuem Glanz erscheint, oder wenn man eine Niederlage erlitten hat, aufsteht und mit neuer Kraft weiter macht.
Der Phönix ist ein Tier der Metamorphose aus dem Feuer. Das Feuer ist in sich selbst schon eine Transformation. Denn das Feuer als solches braucht Nahrung, nämlich Holz oder einen anderen brennbaren Stoff, dazu Luft und Hitze, um sich aus diesem brennbaren Stoff zu nähren, und dann bleibt eigentlich nichts übrig.
Also in diesem Akt der Transformation geht die Energie von Feuer nach unserer Alltagslogik und Beobachtung verloren. In der Mythologie entsteht aus dem Feuer eine neue Form und das ist der Phönix. Das ist unglaublich spannend, weil der Phönix uns dadurch natürlich eine unglaubliche Breite an Fantasie erschließt und zu einem wichtigen Sinnbild wird. Der Phönix stammt aus der altägyptischen Kultur und trägt dort den Namen „Benu“, was „der Wiedergeborene“ oder „der Neugeborene“ bedeutet. Er steht in den unterschiedlichen Kulturen entweder für langes Leben oder für Wiedergeburt. Im christlichen Sinne ist er ein Symbol für Auferstehung. An der Außenmauer der Basilika in Millstatt ist beispielsweise ein Phönix aus dem 8. Jahrhundert dargestellt, der für die Auferstehung Christi steht.
Später kam dieser Mythos nach Griechenland. Der griechische Dichter Herodot erzählte von einem heiligen Vogel, der Phönix heißt und alle 500 Jahre nach Ägypten kommt. Dieser Vogel schaut in der Größe und in der Form aus wie ein Adler. Er bringt ein Ei aus Myrrhe, das sehr groß ist, das er gerade noch tragen kann. In dieses Ei legt er zuvor die Leiche seines verstorbenen Vaters, des Gottes Osiris, hinein. Das verbrennt dann mit dem Duft der Myrrhe, Zimtstangen und Nelken und bewirkt die Neuauferstehung des nächsten Phönix, der wiederum 500 Jahre lebt.
Diese religiösen Weltanschauungen haben sich auch stark in unsere Kultur eingeschrieben, bis heute. Es gibt verschiedene Firmen, die den Namen Phönix tragen oder Logos, in denen der Phönix abgebildet ist. Ihr kennt vielleicht das Teatro La Fenice in Venedig, das abgebrannt ist, neu aufgebaut wurde und seitdem den Namen „La Fenice“ – der Phönix trägt.
Wir kennen sehr viele Geschichten aus der Mythologie, aber auch aus Fantasy Romanen, aus Filmen, wie etwa Star Trek und Star Wars, aus Manga-Zeichnungen der japanischen Rezeption, aus Videospielen, da ist der Phönix sehr begehrt. Sogar aus der Popkultur ist er uns bekannt, als 2014 Conchita Wurst in Kopenhagen den Songcontest mit dem Lied „Rise like a Phoenix“ gewonnen hat. Natürlich ist der Phönix allen Kindern ein begehrter Geselle aus Harry Potter, denn dort hat der Schulleiter Dumbledore einen Wundervogel, das ist eben ein Phönix.
Auch mit dem Begriff Feuervogel ist der Phönix gemeint und es gibt dieses Vogelwesen in der persischen Mythologie, in China, in Japan, man kennt es also auf der ganzen Welt. Wenn der Phönix in seinen Kräften wirksam wird, hat das vor allem mit Licht zu tun. Das Christentum und viele andere Kulturen verstehen das Licht als Grundlage für unser Leben. In der biblischen Schöpfungsgeschichte leitet sich das Leben aus dem ab, dass Gott Licht geschaffen, als er den Tag von der Nacht getrennt hat. Wir sind täglich von diesem Phänomen umgeben, von dieser Transformation vom Dunkel ins Hell am Morgen und vom Hellen ins Dunkel am Abend, in der Dämmerung. Jeden Tag können wir das beobachten, sind wir eingehüllt in diese Transformation von Licht.
Schafft eine Fläche von Dunkel ins Helle und wenn ihr möchtet, dann platziert ihr eine Form eurer Fantasie. Das ist eine hoch konzentrierte Arbeit. Ihr könnt Aufregung erzeugen, indem ihr Formen wählt, die ihr aus der Beobachtung von Feuerzungen entwickelt und mit changierenden Linien aus dem Handgelenk schleudert und damit etwas erzeugt, das Feuer bedeutet.
Die wunderbaren Fabelwesen, Mischwesen und Neuformungen sind Ausdruck der menschlichen Fantasie, die eine unglaubliche Gestalt annehmen kann. In dieser Art von Wesen liegt auch eine Kraft oder Stimmung zugrunde, die wir zum Ausdruck zu bringen versuchen.
Wenn ihr Schwierigkeiten habt eine Form zu finden oder euch immer nur dieselbe einfällt, könnt ihr hergehen und Zeitungspapier nehmen. Ihr schneidet irgendwelche Formen aus und diese Formen legt ihr einzeln auf ein weißes Zeichenblatt und schaut sie an. Ihr könnt mit der Form spielen, ihr könnt sie erweitern, ihr könnt eine zweite Form dazulegen. Ihr könnt mit der Linie spielen. Es ist oft leichter, die Form aus dem Schneiden zu entwickeln, weil die Hand mit der Schere eine gewisse Distanz eingeht und euch viel mehr der Zufall leitet. Natürlich könnt ihr auch die Augen schließen oder mit der linken Hand arbeiten. Das ist etwas, das euch bei all diesen Wiederholungsgefahren von etwas, wovon ihr wegkommen möchtet oder was ihr erweitern möchtet, sehr hilft.
Bleibt einfach! Versetzt euch in diese Kräfte hinein, nach denen man sich sehnt und die sich durch ein anderes Element zum Ausdruck bringen. Geht mit dieser Energie weiter. Experimentiert weiter. Lasst eure Fantasie frei fließen, lasst sie einfach sprießen. Ich wünsche euch eine sehr freudvolle Zeichenphase.
Bleibt bei euch selbst, atmet immer in euch hinein. Vertraut eurer Kraft und Energie des ästhetischen Gestaltens im Bewusstsein für die Linie und bleibt schön einfach!