Persönliches Herbarium

Beim vergangenen Impuls „Waldspaziergang“ habe ich zum Sammeln und Pressen von Blättern und anderen Pflanzenteilen angeregt. Diese gepressten Teile könnt ihr jetzt verwenden, um Collagen mit Naturobjekten aus dem Pflanzenreich als Thema aufzugreifen.

Die Praxis Pflanzen zu pressen und zu trocknen ist eine alte. Das älteste überlieferte Herbarium stammt bereits aus dem 16. Jahrhundert (1524). Es ist in Kassel, in Deutschland zu Hause. Ursprünglich hat man Pflanzen getrocknet, um im Winter Anschauungsmaterial zu haben. So hat diese Tradition des Herbariums begonnen.
Mit der Zeit hat man erkannt, dass man das mit allen Pflanzen machen könnte, dass man das Herbarium systematisieren und die Wurzeln, den Knospenstand, den Blütenstand und den Fruchtstand dazugeben könnte. Daraus sind dann wissenschaftliche Werke geworden. Inzwischen gibt es solche Herbarien weltweit, die meisten in Europa und Amerika, die wenigsten in Afrika. Meistens sind sie in botanischen Gärten oder naturhistorischen Museen zu finden. Die größten Herbarien gibt es in Paris, Sankt Petersburg, London, St. Louis, Wien (die sind vor allem zu Zeiten der Monarchie entstanden) und auch in Berlin.

Was hat das nun mit unserer zeitgenössischen Kunstaktivität zu tun? Ich gebe euch die Idee, dass man so wie mit Papier auch aus Pflanzen eine Collage gestalten könnte. Das ist eine sehr lohnende Aufgabe. Beginnt damit, die gepressten Pflanzenteile auf ein weißes Blatt, euer Zeichenblatt, zu legen und die Pflanze genau zu studieren.
Was ist dieses Objekt auf dem Zeichenblatt? Es ist ein dreidimensionales Objekt, das ihr dann auf dem Blatt fixieren kann. Am besten ginge das mit transparentem Acrylbinder. Das ist eine zähe, farblose Flüssigkeit, die man in Kunstbedarf-Geschäften kaufen kann. Ihr tragt sie mit dem Pinsel auf die Pflanze auf, platziert diese am Zeichenblatt und durch den Binder haftet sie am Papier. Der Acrylbinder hiterlässt dabei keine Spuren auf dem Blatt. Es geht aber auch wasserfester Holzleim, ein schmaler Streifen säurefreies Klebeband oder Klebstoff.

Das Wichtigste für diese Aufgabe ist, genau hinzuschauen. In diesem Objekt in eurer Collage sind sehr viele Informationen enthalten. Es gibt Konturen, wie die Form des Stängels. Es gibt Linien innerhalb der Blätter und Blüten. Es gibt verschiedene Formen und Muster. Wie sehen die Linien aus? Wie stehen sie zueinander? Wo gibt es Verdichtungen, wo Zerstreuungen? Wo überlagern sich die Blätter und Blüten, wo gibt es leere Räume?

Ihr habt mehrere Möglichkeiten, wie ihr an diese Aufgabe herantretet: Ihr könnt ein paar Elemente eurer Collage herausgreifen und auf einem eigenen Zeichenblatt wiederholen. Ihr könnt die ganze Pflanze zeichnerisch danebenlegen.

Ihr könnt eine Aura um die Kontur der Pflanzenteile legen und sie wie eine Schallwelle vergrößern. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, das sind nur ein paar wenige Vorschläge. Wichtig ist immer das genaue Hinschauen, dieses tiefe Sich-Einschauen in das, was ihr ausgewählt habt, um es zeichnerisch fortzusetzen. Dadurch wird daraus eine sehr lohnende Aufgabe.

Probiert ein paar dieser Möglichkeiten aus. Seht diesen Impuls als den Startschuss für euer eigenes, sehr persönliches, künstlerisches Herbarium. Euer Herbarium kann über alle Jahreszeiten gehen. Es kann später auch kleine Ästchen oder Zweige beinhalten. Oder Nadeln, wenn sie abfallen. Ihr könnt jede Jahreszeit, jede Entwicklung in der Natur einbeziehen und zeichnerisch fortsetzen. Mit Linien. Mit Strukturen, die ihr in diesen Objekten aus der Natur finden könnt. Lasst euch von dem Objekt selbst anregen.

Ich rate euch: Nehmt nur solche Objekte, in die ihr euch verliebt habt. Etwas, das euch gut gefällt. Beginnt eure Zeicheneinheit in einer entspannten Stimmung. In einer innerlich offenen, weiten Stimmung. In einer Situation, die nicht Zwang ist, nicht Pflicht ist. Die kein Muss ist. Sondern nur in dem Moment, wenn ihr es für euch gerne tun möchtet. Weil es für euch schön ist.

Auch das Hinschauen ist schon eine wichtige Aufgabe. Also Schauen und Zeichnen und dann wieder Schauen, was gezeichnet ist. Dann vielleicht noch weiter zeichnen. Oder, wenn der Tag zu kurz ist und viele andere Dinge zu tun sind, eben auch nur Schauen. Das reicht schon.

Ich wünsche euch viel Muße und Freude bei dieser Aufgabe und viele neue Einsichten in die Welt der Pflanzen.