Collage

Im Impuls „Waldspaziergang“ habe ich euch angeregt, Blätter oder Blüten zu sammeln und zu pressen. In diesem Impuls spreche ich über die Möglichkeiten und Techniken der Collage, und deren Vielseitigkeit. Ich möchte euch anregen, es mit einer Collage zu versuchen. Aber zunächst einmal möchte ich in den Begriff hineinführen. Die Collage ist eine Technik, die in der bildenden Kunst ihren Ausgang genommen hat, bei der man mehrere Teile auf eine Unterlage klebt und sie so zu einem neuen Bild zusammenfügt. Das Wort selbst kommt aus dem Französischen von „coller“ also „kleben“, und „la colle“, das ist der Leim.

Das heißt, es ist etwas auf eine Unterlage geklebt. Das Wort Collage ist natürlich nicht nur für die bildende Kunst relevant, sondern später auch in der Literatur und auch im darstellenden Bereich. Es gibt Textcollagen, Musikcollagen, Theatercollagen, Filmcollagen, oder auch Text-Bild-Collagen, wie zum Beispiel von der berühmten Autorin Herta Müller.

Wann das entstanden ist, weiß man nicht so genau, aber mit Sicherheit um die Jahrhundertwende, im Kubismus. In den frühen 30er-Jahren ist das mit Georges Braque stark in den Fokus gerückt worden. Er war der Erste, aber es hat viele andere Künstler gegeben. Quer durch alle Stilrichtungen im 20. Jahrhundert bis heute ist die Collage etwas, das interessant ist. Wenn ein dreidimensionales Objekt aufgeklebt wird – man könnte das zum Beispiel auch mit einem Naturobjekt machen, oder mit anderen Gegenständen, die sich wesentlich von der Oberfläche erheben – spricht man von Assemblage.

Das ist auch ein Wort, das in der bildenden Kunst immer wieder vorkommt. Man könnte sagen, ein Papier oder ein Blatt des Baumes ist auch dreidimensional, aber es ist so flach, dass man da schon noch von Collage spricht. Künstler wie Robert Rauschenberg haben dann die Assemblage in die bildende Kunst eingeführt. Man könnte auch sagen, dass man das Zusammenfügen von Gegenständen, die also dann dreidimensional sind, aber nicht auf die Leinwand kommen, in gewisser Hinsicht auch Collage nennen könnte, aber hier spricht man von objet trouvé. Dieser Begriff wurde von Marcel Duchamp geprägt.

Der Fahrradschemel, also das Rad und der Schemel zusammengefügt, ist ein erstes Beispiel, wie das in die Skulptur eingeführt wurde. Das objet trouvé, das gefundene Objekt. Also tatsächlich existierende Objekte; Gegenstände, die man ihrer eigentlichen Funktion beraubt. Oder nicht beraubt, aber sie verändert. Diese ursprüngliche Funktion wird dem Gegenstand entzogen. Man muss als Betrachter anders auf die Dinge schauen und erkennen, dass sie auch als Skulptur funktionieren.
Das Arbeiten mit Collage erfordert eine Fähigkeit von uns, die wir nicht nur in der bildenden Kunst so stark brauchen, sondern auch im Zusammenleben. Aber in der bildenden Kunst ist sie überhaupt die Grundvoraussetzung: die Fähigkeit zur Empathie. Das Einfühlungsvermögen. Ihr könnt keine gute Collage machen, wenn euch das Einfühlungsvermögen fehlt.

Nun möchtet ihr gerne eine Collage machen und seid vielleicht unsicher, wenn ihr dieses Wort Empathie hört. Ihr seid in einer neuen Situation, wo dieses Einfühlen schwierig ist. Wie geht das also? Wenn man – fangen wir bescheiden an – einfach mit einem Blatt des Baumes beginnt. Zu sagen: „Das gefällt mir, das hat mich gefunden. Das hebe ich mir vom Boden auf oder pflücke es vom Baum. Das presse ich mir und klebe es dann.“ Dann hat das Blatt irgendeinen Reiz auf euch ausgeübt, dessen ihr euch bewusstwerden müsst, wenn ihr es betrachtet.

Wenn ihr euch also dann dieses Objekt des Collagierens anschaut, schaut zunächst einmal auf seine Ränder. Ihr wisst, die Ränder sind in der Zeichnung und in der Malerei sehr wichtig für das menschliche Wahrnehmen. Dieses Wahrnehmen spielt sich an den Rändern ab. Dort ist die Emotion drin. In jedem Rand. Also geht auf diesen Rand ein, spürt ihm mit dem Auge nach. Für die Empathie ist jeder kleine Unterschied im Inneren des Gegenstandes ebenso wichtig.

Welche Linien sind da, gibt’s Punkte, gibt‘s heller und dunkler, gibt’s Flächen, gibt’s Einbuchtungen? Gibt es Dinge, die euch vorher nicht aufgefallen sind? Gibt es Wiederholungen, gibt es Streuungen von Elementen, zwischen denen ihr, wenn ihr genau hinschaut, einen Bezug herstellen könnt? All diese Dinge sind relevant.
Für das Einfühlungsvermögen ist das ganz genaue Hinschauen eine Grundvoraussetzung. Ihr schaut euren Gegenstand an und dann denkt ihr nach und spielt mit eurem Blatt Papier, das euch als Format, als Grundlage dient, und das letztlich Teil des Bildgeschehens wird. Die Collage darf nicht aussehen, wie ein draufgeklebter Gegenstand, den ihr als solchen herzeigen wollt. Sondern das ganze Blatt spielt zusammen und ist ein Werk. Bei dem sich die Collage sozusagen auf der gleichen Höhe befindet wie der Rest der Interventionen, die dann geschehen.
Wenn ihr überlegt, ergibt sich daraus, direkt aus dem genauen Hinschauen und aus dem Einfühlen heraus, schon die Anregung, mit welchen Linien, mit welchen Stiften, mit welcher Struktur ihr hineingeht. Dann gelingt euch jede Collage. Ob diese Collage gerissen ist, aus Zeitungspapier, ob das ein Foto ist, das euch gefällt und aus dem ihr ein Stück herausschneidet, ob das ein Text ist, den ihr collagiert, weil euch Buchstaben gefallen oder weil euch der Titel gefällt.

Bei der Textcollage seid ihr am meisten in Gefahr, zu sehr mit der Botschaft des Textes konfrontiert zu sein und euch einzuengen. Da müsst ihr vorsichtig sein. Aber es kann auch sehr lohnend sein. Sehr lohnend ist auch das Collagieren von eigenen Papierresten. Wo man gekritzelt hat, wo man gearbeitet hat, wo ein Pinsel ausgestreift wurde, wo etwas ausprobiert wurde, wo man das Gefühl hat, es ist misslungen und eigentlich möchte man es wegschmeißen. Diese Dinge eignen sich sehr, sehr gut für die Collage.

Wenn ihr das ausprobiert, versucht gerne mehrere verschiedene Collagen, nicht nur eine. Es geht flott und leicht und schnell und es ist lustvoll. Jetzt ist es so, dass selbst aus dem ausgewählten Zeitungspapier oder der eigenen Zeichnung oder einem alten Stück Farbarbeit, dass daraus in irgendeiner Weise eine Form entsteht. Eine zufällige Form, weil ihr das Objekt so leichthändig ausschneidet oder reißt und es dann hinlegt auf das Zeichenblatt.

Auch da tastet ihr mit euren Augen wieder die Ränder ab. Was braucht es? Was ist da für eine Konsequenz? Denkt nicht kompliziert! Denkt nicht, dass das Collagieren eine intellektuelle Wissenschaft ist, sondern fühlt euch tief in die Materie ein und ihr werdet sehr, sehr schöne Ergebnisse erzielen. Dieses besondere Auseinandersetzen mit Naturcollagen, also mit Elementen aus der Natur, wie Blätter, Gräser, Flechten, Moose oder Fruchtsamen, allen möglichen Dinge, die euch vielleicht in euer Auge kommen, die ihr im Wald findet, regt dazu an, genau hinzuschauen.

Dieses kleine Objekt, das euch ins Auge sticht, ganz genau zu erfassen. Und dieses genaue Erfassen hat nicht nur damit zu tun, dass ihr es seht, sondern dass ihr es auch emotional erfasst. Und dort trifft sich dann alles wieder mit dem Einfühlungsvermögen. Man muss das, was man anschaut auch fühlen, es spüren. Und dann entwickelt sich daraus eine neue Form, die gerissen oder geschnitten ist oder die man weiterbearbeitet, weil man sie schon so gefunden hat. Dort entwickelt sich etwas ganz Neues, noch nie Dagewesenes. Etwas, das überrascht und unerwartet ist.

Ich wünsche euch, dass euch das gelingt. Es geht dann, wenn ihr euch bewusst seid, dass das Hinschauen mit dem Fühlen zusammenhängt. Und aus diesem Schauen und Fühlen erkennt ihr, was eure Arbeitsschritte sind.

Ich wünsche euch sehr viel Erfolg!