Runde Form
Einige Künstler haben sich in ihren Werken mit dem Winter beschäftigt. Zum Beispiel gibt es Arbeiten von Andy Goldsworthy, ein LandArt Künstler, in denen es um Schneebälle geht. Vielleicht habt ihr selbst gerade Schneebälle zur Verfügung, vielleicht aber auch nicht. Das ist auch keine Voraussetzung. Ich möchte nur anhand dieser visuellen Erscheinung der Schneebälle eine Form besprechen: den Kreis. Ihr wisst, der Kreis ist eine geometrische Form, wie auch die Kugel. Aber in eurem Fall ist er mit der Hand gezogen und weist deshalb nicht ganz diese perfekte Kreislinie auf.
Das heißt, es ist ein rundes Formelement, das eine Variation in der Kontur hat. Die Kreise, die ihr zieht, können mit Bleistift gezogen werden. Dann variiert die Linie innerhalb dieses runden Elementes sehr schön, sodass sie feine Schwingungen erzeugt, stärker und zarter. Versucht es also zunächst mit dem Bleistift. Ihr könnt euch auch Linien links und rechts auf euren Zeichenblatt, wie zwei Baumstämme, markieren und die Form, die dadurch zwischen den Baumstämmen entsteht, mit Kreisen ausfüllen.
Passt gut auf, dass die Kreise nicht zu regelmäßig, aber auch nicht zu gewollt unregelmäßig sind. Also nicht mechanisch, aber auch nicht gezwungen ungleichmäßig. In weiterer Folge könnt ihr die Kreise auch mit Tusche und Feder ziehen. Achtet darauf, dass die Kreise nicht zusammenstoßen, sondern Platz dazwischen bleibt. Dass ihr diese Kreise nebeneinander zieht und dann darüber die nächste Reihe und die nächste Reihe. Und darauf, dass ihr innerhalb eines Blattes eine ähnlich große Form wiederholt. Ihr könnt die Kreisform kleiner ausformulieren, ihr könnt sie größer probieren, aber immer auf einem eigenen Blatt.
Danach könnt ihr die Kreise auch farbig füllen, mit jeder Farbe, die euch gefällt. Ihr könnt die Kreise auch collagieren. Dazu schneidet ihr mit einer Schere ähnlich große runde Formen aus einer Zeitung, bei der ihr dann runde Formen mit kleingedrucktem Schriftbild habt, oder aus einem bunten Papier oder auch aus einem bemalten Papier, klebt sie auf und geht genauso vor wie mit dem Gezeichneten. Ihr könnt diese runden Formen auch schraffieren.
Wenn ihr sie mit dünner Feder überkreuzt schraffiert, ergibt das ein sehr schönes, anderes Bild eurer runden Formen. Wenn ihr links und rechts Baumstämme habt, könnt ihr diese Baumstämme mit Farbe füllen, mit schwarzer Tusche zum Beispiel. Aber erst zum Schluss, nachdem ihr alle runden Formen gezeichnet habt.
Wenn ihr die Kreise mit schwarzer Tusche füllt, geht ihr nicht ganz bis zur gezeichneten Form hin, sondern lässt eine kleine, runde Linie frei, sodass sich die Form klar absetzt und nicht mit dem verschmilzt, was ihr als Baumstamm seht. Ihr könnt links und rechts auch einfach eine Gerade zeichnen. So habt ihr dann ein rechteckiges Feld, in dem ihr euch mit euren runden Formen bewegt.
Diese Formen haben eine große Variationsmöglichkeit. Einerseits in der Wahl des Mediums, mit dem ihr die Zeichnung gestaltet: Bleistift, Tusche, oder Collage. Andererseits aber auch in der Größe: ihr könnt viele kleine Formen auf ein Blatt setzen oder größere Formen wählen. Aber ihr wiederholt auf einem Blatt immer diese Größe. Ihr mischt sie nicht, sodass ihr kleine und große Formen auf demselben Blatt habt, sondern ihr wählt immer dieselbe Größe auf einem Zeichenblatt.
Dabei werdet ihr noch etwas anderes bemerken. Nämlich, dass, so wie in der Natur keine Schneeflocke der anderen gleicht, auch in eurer Zeichnung kein Kreis dem anderen gleicht. Da sind viele kleine Unterschiede. Und diese kleinen Unterschiede sind unglaublich reizvoll, unglaublich menschlich und unglaublich liebevoll für das Auge. Dass ihr diesen Augenblick, dieses Durchfließen der zeichnerischen Energie durch eure Hand und letztlich in den Stift hinaus mit der so wunderbaren kleinen Einmaligkeit in die Welt setzt, das ist fantastisch.
Das setzt voraus, dass ihr ganz bei euch bleibt, ganz konzentriert auf den Augenblick seid. Dass ihr nicht mechanisch werdet, aber auch nicht absichtsvoll. Dass ihr ganz auf den Augenblick konzentriert seid, in dem euer Stift oder eure Feder zeichnet oder die Schere schneidet. Das Gestalten mit runden Formen hat viele positive Auswirkungen für uns selbst. Denn es stärkt die Verbindung der linken und rechten Gehirnhälfte.
Es ist also eine gesunde Arbeit, wenn ihr es medizinisch sehen wollt. Es wurde herausgefunden, dass wir, wenn wir jeden Tag perfekte Kreise zeichnen, Demenz verhindern können, weil dabei die linke und rechte Hirnhälfte so unglaublich beansprucht sind und sich neue Funktionsgebiete im Gehirn miteinander verbinden müssen, wenn wir eben diese runden Formen zeichnen. Ich möchte zwar nicht ganz perfekte Kreise von euch, sondern diese kleinen Unregelmäßigkeiten, aber grundsätzlich hat die Tendenz der runden Form dieselben Auswirkungen. Das ist ein positiver Effekt.
Ein zweiter positiver Effekt ist, dass ihr eine große Fokussierung erlebt: ganz auf den Augenblick, ganz auf das Hier und Jetzt und vor allem ganz auf euch selbst. Von innen heraus fließt diese runde Form, die ihr gestaltet, und ihr seid ganz bei euch. Das ist ein großes Glücksmoment. Dann habt ihr auch ein visuelles Ergebnis, eine schöne Zeichnung, ein schönes Blatt vor euch, das euch freut und diese Freude begleitet euch. Und ich bin sicher, dass die runde Form euch noch zu etwas Weiterem bringt. Denn sie beinhaltet auch eine Einheit, diese Form, die sich schließt. Das Unendliche liegt in dieser runden Form, das Eins-Sein, das Eins-Sein mit euch selbst. Das ist eine schöne Erfahrung, die ihr bei diesem Gestalten machen könnt.
Das wünsche ich euch, dass es euch gelingt!