Beziehung zwischen Formen – Raben und Krähen

Ich möchte mit euch in diesem Impuls über Raben und Krähen nachdenken, die besonders im Winter so markante Vögel sind. Sie sind die größten Vögel in der Ordnung der Sperlingsvögel. Die größten unter ihnen sind wiederum der Erzrabe und der Kolkrabe. Die Erzraben können zwischen 60 und 70 Zentimeter lang sein und eineinhalb Kilo wiegen, die Kolkraben sind noch wesentlich größer. Die Raben sind also größer als die Krähen. Insgesamt gibt es über vierzig verschiedene Arten dieser Vögel. Ihre Namen, also die Begriffe „Krähe“ und „Rabe“ kommen aus der indogermanischen Sprache und sind lautmalerische Wörter.

Man hat also daraus, wie diese Vögel schreien oder mit ihrer Stimme krächzen, ihren Namen abgeleitet. Im Wort „Krähen“ steckt eben das Wort „Krächzen“ drin. Auch in anderen Sprachen hat man die Bezeichnung aus dem Geräusch, das die Raben und Krähen machen, abgeleitet. Rabenvögel sind über die ganze Welt verteilt und nehmen eine sehr wichtige Position innerhalb des ökologischen Systems ein. Warum ist das so? Erstens sind sie sehr anpassungsfähig an die unterschiedlichsten Lebensräume. Es ist erstaunlich, dass sie sowohl im Hochgebirge als auch im Dschungel zu finden sind. Sie können sehr weite, unberührte Gebiete als Lebensraum haben oder auch ganz in der Nähe von Menschen wohnen. Sie fressen alles, sowohl tierische als auch pflanzliche Kost, wobei der Kolkrabe ein ausgeprägter Fleisch- und Aasfresser ist. Deswegen sind sie auch eine sehr nützliche Tiergattung.

Darüber hinaus sind sie überaus schlau in ihrer Nahrungssuche und beobachten sehr genau. Zum Beispiel, wenn Eisfischer unterwegs sind. Die Fischer legen die Angelschnur ins Wasser und das friert zu, über Nacht oder wenn die Fischer weggehen, denn die bleiben nicht so lang bei der Arbeit. Die Krähen beobachten das und in diesem unbeobachteten Moment fliegen sie zu der Stelle hin und ziehen an der Leine. Und sehr oft haben sie das Anglerglück und haben einen Fisch an der Leine, ziehen ihn heraus und fressen ihn auf.

Sie finden auch schnell heraus, wo es etwas zu fressen gibt. Sie beobachten andere Tiere dabei, wie sie Mülltonnen ausräumen, um ihnen dann das Futter abzujagen. Oder sie lassen oft Nüsse an Straßenkreuzungen fallen, die Autos fahren drüber und bei der nächsten Rotphase holen die Krähen sich die geknackte Nuss. Sie haben also unterschiedliche Methoden, wie sie zu Nahrung kommen. Das wird bei diesen Vögeln als ausgesprochene Intelligenz gewertet.

Sie können sehr komplexe Handlungen planen und haben ausgeklügelte Systeme entwickelt, zum Beispiel, wie sie Futter verstecken. Sie haben nämlich die Fähigkeit, sich nicht nur das Versteck zu merken, sondern sich auch in andere Tiere hineinzuversetzen. Das heißt, ein Rabe scheint zu wissen, dass ein Futterversteck nur dann sicher ist, wenn er selbst beim Verstecken nicht beobachtet wird. Außerdem sie Rabenvögel sehr lernfähig. Immer wieder gibt es Forschungen, die zeigen, wie schnell diese Vögel fähig sind, etwas neu zu erwerben. Raben und Krähen werden mitunter auch sehr alt. Ein Kolkrabe kann achtundzwanzig Jahre alt werden, die Saatkrähe zwanzig Jahre.
Die Rabenvögel haben große kulturhistorische und mythologische Bedeutung, die für uns ZeichnerInnen interessant ist. Weltweit sind sie eine wichtige Figur in Märchen und Sagen. Aber auch alte Götter und Könige haben ihre Weisheit, ihre Intelligenz und ihre Flugfähigkeit genutzt. Das heißt, diese Vögel spielten eine große Rolle im Aberglauben. Im Märchen kommen die Krähe oder der Rabe oft als weiser Wanderer vor, oder sie weisen verirrten Wanderern den Weg und geben ihnen Tipps mit auf die Reise.

Sehr bekannt sie die beiden Grimm‘schen Märchen „Die Sieben Raben“, in dem die sieben Prinzen in Raben verwandelt wurden, und „Der Rabe“. Auch in der nordischen Mythologie symbolisiert der Rabe die Weisheit. Der griechische Gott Apoll machte die Raben heilig. Nach der Sintflut ließ Noah einen Raben fliegen, um zu erkunden, ob es irgendwo Land gibt. Das konnten die Raben sehr gut herausfinden.

Erst durch das Christentum wird der Rabe zu einem Unglücksvogel und bekommt einen schlechten Ruf. Erst da bildet sich die mythologische Bedeutung heraus, dass er ein dämonisches Wesen oder ein böses Tier sei, das als Aasfresser den Teufel begleitet oder als Unglücksrabe Schaden ankündigt. Auch durch die Leichen von Erhängten im Mittelalter hat der Rabe eine sehr ambivalente Bedeutung bekommen, später hat man deshalb Galgenvögel zu den Raben gesagt.
Aber der Rabe hat auch eine Rolle als Haustier übernommen, eben weil er sehr intelligent ist. Raben kommen auch in Inuit-Märchen, in Märchen der amerikanischen Ureinwohner und in westafrikanischen Märchen vor und spielten dort eine wirklich positive Rolle. In den indischen Sagen ist der Rabe der Begleiter der Göttin Kali, der Zerstörerin von Illusionen, der schwarzen Göttin. Diese Sagen ließen sich unendlich weiterführen.

Aber der Rabe ist auch bis in die heutige Zeit hinein eine wichtige Figur in der Literatur. Das im englischen Sprachraum berühmteste Gedicht ist „Der Rabe“ von Edgar Allan Poe. Ich rege euch an, dieses zu lesen, und vielleicht auch danach zu arbeiten. Auch deutschsprachige Autoren behandeln diesen Vogel, etwa Wilhelm Busch in „Hans Huckebein, der Unglücksrabe“ oder Ottfried Preußler. Dieser hat die Fähigkeiten von Hexen und Zauberern, sich in Krähen verwandeln zu können, in seinem Buch „Krabat“ aufgegriffen.

Es gibt noch viele andere Geschichten um den Raben und die Krähe. Sicher kennt ihr auch die Begriffe „Rabenmutter“, „Rabenvater“ oder „Rabeneltern“. Das sind Eltern, die ihre Kinder ohne Not vernachlässigen. Berufstätige Mütter werden zum Beispiel oft als Rabenmutter hingestellt. Martin Luther hat in seiner Übersetzung des Alten Testamentes auf diese negative Bedeutung von Rabeneltern verwiesen und von dort her wurde diese Bezeichnung im deutschen Sprachraum sehr gebräuchlich. Für den Ausdruck „Rabenmutter“ hat keine andere Sprache ein Pendant, der Begriff lässt sich also nicht direkt übersetzen.

Damit sind wir endlich beim Zeichnen angelangt. Ich möchte gerne, dass ihr euch den Rabenvögeln zuwendet. Ihr könnt eure Inspiration aus der Literatur nehmen und aus der Beobachtung der Natur. Beobachtet genau, wie die Raben sich bewegen und wie ihre Haltung ist, wenn sie am Baum oder am Feld sitzen.
Studiert das, macht Fotos davon, und versucht vor allem, es linear zu lösen. Kritzelt eure Raben. Das Wesentliche im Ausdruck eines Raben sind der Schnabel und die zwei Beine, alles andere ist relativ frei. Sie können sich nach allen Richtungen bewegen, sie können vor oder zurück schauen, zur Seite schauen, nach oben schauen, den Schnabel öffnen. Fast so, als wenn sie nicht nur schreien, sondern auch sprechen könnten.

Ihr habt alle Möglichkeiten in der Darstellung eines Raben und könnt ihm in eurer Gestaltung eine Eigenschaft schenken: der schlaue Rabe, der geheimnisvolle Rabe, der weise Rabe. Achtet auf die Qualität der Linien. Achtet auf die Beziehung der Elemente zueinander, auf die Komposition. Achtet auf Groß und Klein. Achtet darauf, dass die Raben in der Farbgebung schön kräftig sind. Meistens sind sie grau und schwarz, aber es gibt auch weiße Raben, die erst später schwarz werden.

Ich wünsche euch eine sehr schöne Muse beim Studium der Rabenvögel, beim Studium der Literatur zu Raben und Krähen und vor allem schöne Ergebnisse!