Landschaft

In diesem Impuls möchte ich gemeinsam mit euch über die Landschaft im Zeichnen nachdenken, sodass ihr mit der Idee von Landschaft auch in eure Zeichnung gehen könnt. Das Darstellen von Landschaft ist in der Kunstgeschichte eine sehr, sehr alte Gestaltungsform. Zunächst ging es darum, ein Stück Landschaft aus der unberührten und vom Menschen unbeeinflussten Natur darzustellen. Über die verschiedenen Kunstepochen hat sich diese Idee verdeutlicht, nämlich das Verhältnis von Mensch gegenüber der Natur, von Mensch zu seiner Umwelt.

Auch die Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse kann man aufgrund der Landschaftsdarstellungen sehr genau erkennen. Die frühesten Landschaftsdarstellungen sind schon in der altägyptischen Kunst und in der altorientalischen Kunst zu finden. Auch in der Kunst auf Kreta, im berühmten Palast von Knossos aus dem 16. Jahrhundert v. Chr. sind Landschaften dargestellt. In Etrurien gibt es Paläste, wo zum Beispiel Landschaftsdarstellungen mit Geschichten von der Odyssee gefunden wurden.

Bestimmte Einzelformen von illusionistischen Ideallandschaften in der römischen Kunst wurden in den Villen von Pompeij entdeckt und diese Formen wurden, beeinflusst durch die Spätantike und Byzanz, ins Frühe Mittelalter weitergereicht. Im Hohen Mittelalter ist das Landschaftliche sehr ornamental. Es sind Zitate in der Buchmalerei zu sehen, die aus der Landschaft herrühren, denn die Landschaftsdetails waren wichtig für die biblischen Geschichten.

Im 13. Jahrhundert hat Giotto die Natur und die Landschaft wiederum sehr stark in die Malerei und die Zeichnung eingeführt. Das wurde in der holländischen und burgundischen Buchmalerei übernommen. Da waren die Brüder von Limburg sehr bekannt dafür, dass sie in Büchern Landschaftsdetails und auch ganze Landschaften dargestellt haben. Erst durch die Zeichnungen von Leonardo da Vinci und die Aquarelle von Albrecht Dürer wurde die Landschaft ohne zusätzliche Geschichten zum Studienobjekt.

Damit war erstmals die Landschaft als Landschaft von Interesse. Vorher waren es biblische Geschichten oder narrative Szenen, die sich in der Landschaft abgespielt haben. Natürlich waren die biblischen Geschichten trotzdem weiterhin interessant, die Madonna in der Landschaft ist dafür nur ein Beispiel.

Nördlich der Alpen hat Albrecht Altdorfer die erste Landschaft ohne Beiwerk geschaffen, und zwar die Donaulandschaft bei Regensburg mit dem Scheuchenberg. Das ist ein Bild aus dem Jahr 1528, das eine sehr berühmte Landschaftsdarstellung wurde. In der venezianischen Malerei lag das Interesse auf Figur und Landschaft, bei Titian oder Giorgione beispielsweise. Dann gab es durch die Weltlandschaften von Pieter Brueghel dem Älteren einen neuen Aspekt in der Landschaftsdarstellung: mythologische Darstellungen und Lichtschattenmodulationen.

In der Renaissance war die Landschaft besonders wichtig für die Darstellung des Unendlichen. Eine weite Landschaft, die sich in der Unendlichkeit verliert, war Ausdruck für die unendliche Größe des Universums und die unendliche Kraft des Schöpferischen und des Schöpfers. Damit erhielt die Landschaft eine wichtige zusätzliche Botschaft. Im 17. und 18. Jahrhundert und auch im Klassizismus kamen dann die Parklandschaften, die sehr idyllisch, sehr idealisiert gestaltet wurden.
Auch in der Romantik hatte die Natur eine große Bedeutung für die Künstler und ihr kennt vermutlich den berühmtesten Maler unter ihnen, Caspar David Friedrich. Seiner Zeit weit voraus war William Turner, indem er keine Gegenstände mehr in die Landschaft gesetzt hat, sondern diese sich sozusagen aufgelöst haben. Damit war er bis ins 20. Jahrhundert hinein ein wichtiger Wegbereiter, was das Thema Landschaft bedeutet. Sehr interessant war im 19. Jahrhundert ein großer Meister unter vielen anderen: Paul Cézanne, der die Bildfläche sehr flach gehalten und eine schöne Abstraktion eingeführt hat: die Landschaft, die sich aus vielen kleinen Elementen zusammensetzt.

Die Darstellung der Natur – und damit sind wir im 21. Jahrhundert angekommen – ist außerdem besonders in der Auseinandersetzung mit Umweltbeziehungen, mit Menschen und Natur und mit ökologischen Zusammenhängen ein bedeutendes Bildthema. Im Zuge von Umweltkatastrophen und der Zerstörung der Natur besitzen viele Werke einen Appellcharakter: Schaut, wie schön die Natur ist! Schaut, wie groß die Zerstörung ist! Schaut, wie dramatisch die Lage ist! Diese Ideen sind sehr unterschiedlich in der Ausdrucksform geworden. Wohl auch, weil durch den hohen Realismus und auch die höchstmögliche Abstraktion im 20. Jahrhundert eine so breite Palette in der Darstellung von Dingen und Situationen und Gefühlen entstanden ist.

Auch die Landschaftsmalerei in Ostasien hat eine wunderbare Strömung erfahren und ganz eigene Stile hervorgebracht. Die chinesischen und japanischen Landschaftsdarstellungen sind bis heute von höchstem Wert und von allergrößter Beliebtheit. Die japanischen Stiche oder Drucke von Landschaftsdarstellungen sind lohnend zu studieren und sehr inspirierend.

Natürlich spielt die Landschaft auch in der Literatur eine Rolle. Da gibt es zahlreiche Beispiele in den verschiedenen Epochen und Strömungen. In der zeitgenössischen Literatur hat Rainer Maria Rilke begonnen, viele Vergleiche aus der Natur zu ziehen. Besonders in der Lyrik sind die Vergleiche aus den Landschaftsdarstellungen zuständig für die Seelenzustände, die inneren Landschaften. Wenn ihr für diesen Impuls also ein Gedicht bearbeiten wollt, das euch anspricht, etwa von Rilke oder von anderen großen Meistern, dann ist das eine sehr gute Idee.

Wenn man sich mit Landschaft befasst, ist ein Spaziergang in die Natur unerlässlich. Nehmt euch eine Kamera mit. Seid ganz einfach. Ihr müsst euch bewusst sein, dass sobald ihr eine horizontale Linie zeichnet seid ihr schon in der Landschaft. Nur diese eine Linie macht klar, worum es geht. Jetzt werdet ihr euch fragen, ob ihr das Blatt querformatig oder hochformatig nehmen sollt. Das überlasse ich euch.

Früher wurde oft gesagt – und man sagt es teilweise heute noch – der Begriff „Landschaftsformat“ meint das Querformat. Aber im abstrakten Tun muss man nicht notgedrungen querformatig sein. Wenn euch das Hochformat lieber ist, arbeitet hochformatig. Künstler wie beispielsweise Per Kirkeby arbeiten nur mit Hochformat, maximal gehen seine Werke in Richtung quadratisch. Ihr seid also frei in der Formatwahl.
Wenn ihr diese eine Linie gezeichnet habt und sie anschaut, vibriert sie natürlich. Die Linie ist nicht ein starker Strich, der einförmig ist. Nein, die Linie hat vielleicht eine kleine Bewegung drin. Oder sie ist ganz gerade. Oder sie schwingt ein wenig, ganz wenig von zarter und stärker, beginnt irgendwo und hört auf. Das könnt ihr bestimmen. Ihr könnt spüren. Diese eine Linie zu spüren ist sehr wichtig.

Dann könnt ihr ein Gekritzel oder eine realistische Linienkonfiguration von Büschen neben die Linie setzten. Und schon seid ihr in eine Landschaft eingetaucht, die unglaubliche Vorstellungswelten eröffnet. Vielleicht sind dann noch drei, vier, maximal fünf Vögel in der Luft, ganz kleine Vögel – es können zum Beispiel Schwalben oder Bussarde sein – und schon ist die Landschaft fertig. Oder ihr zeichnet eine horizontale Linie und dann zwei Linien, die sich parallel wie ein Weg bewegen, leicht diagonal von links nach rechts, eine Unterbrechung eines Feldes. Dann gibt es noch ein paar kleine Elemente in eurem Feld und wiederum ist eine Zeichnung fertig.
Wozu ich euch anregen möchte, ist, dass ihr ganz minimal, mit den geringstmöglichen Mitteln, in die Landschaft hineingeht. Ihr werdet staunen, wie stark ein paar wenige Elemente sind und wie schnell Landschaft erzeugt ist. Ihr könnt innere Seelenlandschaften erzeugen. Ihr könnt euch in einem Traum in einer Landschaft befinden. Ihr könnt sagen: es ist Nacht, es ist Tag, oder es dämmert. Das sind die Lichtverhältnisse, die ihr dann ausprobiert. Ihr könnt sagen: es ist Nebel, es ist Sturm, es ist Regen, es scheint die Sonne. Es ist am Meer, es ist in den Bergen, es ist eine Parkbank, es ist eine Stadtlandschaft.

Landschaft ist ein sehr weiter Begriff, der jedoch immer die Natur miteinbezieht, in welcher Form auch immer. Sie kann auch nur spärlich vorkommen, weil sich die Stadt so ausgebreitet hat und die Natur kaum noch ein Revier hat. „Das Städtchen drumherum“, ein berühmtes Kinderbuch, behandelt dieses Thema, wo ein Wald einer Stadt weichen soll.

Wie darin den Kindern die Lösung, der Umgang des Verhältnisses zwischen Natur und Architektur und Stadtplanung nahegelegt wird, ist sehr anschaulich. Aber da gibt es viele andere Beispiele. Also, ihr könnt es kritisch sehen. Ihr könnt es idealistisch sehen. Ihr könnt es als mahnende Zeitgenossen sehen. Ihr könnt sagen: „Ich bin vollkommen abstrakt, ich will gar nicht, dass man sieht um was es geht. Ich gebe nur eine Stimmung wieder, die ich im Abstrakten so schön jenseits der Worte darstellen kann.“

Ihr habt großen Freiraum. Die einzige Bitte ist: bleibt einfach und überarbeitet es nicht. Ihr könnt Landschaft in allen Stufen der Abstraktion gestalten. Empfindet euch selbst dabei nicht als jemanden, der außerhalb von Landschaft steht, außerhalb der Natur. In diesem Gestalten ist es essenziell, dass ihr begreift, Teil der Natur zu sein.
Wir, als Menschheit, sind Teil von Landschaft und Natur und allem Geschehen in der Natur. Diese gedankliche Abspaltung von der Natur hat dazu geführt, dass wir heute sehr entfremdet von ihr sind. Also begebt euch im Zeichnen wiederum in sie hinein und empfindet euch als staunende Wesen, als Teilhaber dieser Natur und auch als Gefährder, die wir geworden sind. Geht spazieren und empfindet euch als Teil dieser Natur und ihr werdet sehen, welchen Unterschied es in eurer Wahrnehmung ausmacht.

Ich wünsche euch alles Gute und einen schönen Tag!