Faltungen
Es gibt gewisse Themen, die seit Jahrhunderten Thema innerhalb der Zeichnung sind, immer wieder und in vielen verschiedenen Aspekten. Eines dieser Themen die da sind, die nie weg waren, die notwendig sind – haben wir auch in Landschaftsdarstellungen, und zwar die Faltungen. Die Landschaft – sofern man nicht an eine große Ebene denkt – ist in Wahrheit, wenn man sie von weit weg betrachtet, gefaltet und gefältelt. Ein Gebirge, ob hoch oder auch weniger hoch, besteht aus Höhen und Tiefen.
Diese Falten sind im Laufe der Jahrmillionen durch die Bildung der Erdkruste entstanden. Natürlich kennen wir auch unsere eigenen Falten in der Haut. Das ist etwas, dass uns jeden Tag im Spiegel begegnet. Stofffalten sind kunsthistorisch besonders häufig zu beobachten. Die Künstler mussten in ihrer Grundausbildung lernen und tief verstehen, wie der Faltenwurf einer Robe, eines Mantels, eines Vorhangs, eines Tischtuchs und so weiter tatsächlich funktioniert.
Aber es gibt auch Faltungen, die in der Bionik von Interesse sind. Bionik, das ist eine Forschungsrichtung, bei der Erkenntnisse aus Naturbeobachtungen in der Technologie genützt werden. Zum Beispiel die Faltungen bei einem Blatt, das aus der Erde kommt. In der Knospe ist das fertige Blatt schon drinnen und wenn die Knospe aufplatzt, kann man sehen, dass das Blatt hineingefaltet war. Natürlich wächst es dann noch, aber davor ist es gefaltet. Genauso ist es zum Beispiel bei Käfern oder Schmetterlingen. Auch wenn sie noch verpuppt sind, sind die Flügel schon fertig, und wenn die Hülle dann aufplatzt, entfaltet sich dieses Tier.
Diese Art und Weise, wie ein Blatt oder Flügel gefaltet sind, nimmt sich eben die Bionik zum Anlass, verschiedene Oberflächenstrukturen zu entwickeln, die wir dann ganz selbstverständlich nutzen, etwa in der Architektur, im Flugzeugbau, oder in verschiedenen anderen Gebieten. Das Wissen der Natur wird also in der Technik angewandt.
Es gibt auch Falten beim Schweißen von Metall. Papier lässt sich falten. In der früheren DDR gab es dazu eine spöttische Bezeichnung: „falten gehen“ war der Begriff für „wählen“, also für die Wahlvorgänge der Volkskammerwahlen. Denn die Stimmzettel wurden oft nicht ausgefüllt, sondern gefaltet abgegeben.
Was uns in diesem Impuls aber viel stärker beschäftigt, sind die Faltungen in der Landschaft, weil wir uns mit der Landschaft und der Natur bereits beschäftigt haben. Uns interessiert, wie diese Faltungen in der Landschaft funktionieren und wie wir sie ausprobieren können. Zuerst sind diese Faltungen technisch genauer anzuschauen.
Eine Falte ist ähnlich wie ein Scharnier: es gibt einen Gipfel, das ist der Wendepunkt, der Umbiegepunkt von einer Falte in die nächste Falte. Und es gibt einen tiefen Punkt der Falte, das ist sozusagen der Taltrog. Diese beiden Punkte sind die höchste und tiefste Stelle der Falte und bilden immer einen Wendepunkt. In der Natur gibt es oft einen Grat oder einen Pass, den man entlanggeht, um diesen Berg, diese Falte zu überqueren.
Man fährt hinauf, es erhebt sich der Berg und dann geht es wieder hinunter ins Tal. Diese Situation bringt uns dahin, dass wir die Oberfläche gefaltet wahrnehmen können. Aber ein Berg hat auch viele Falten innerhalb seiner Erhabenheit. Es geht hinein in Schluchten und Schneisen, kommt wieder heraus und geht wieder hinein. Das ist sehr spannend zu beobachten, wo diese Furchen und Falten auf und ab gehen innerhalb dieses Berggeschehens.
Aber auch das Innere in einer Landschaft ist gefaltet. Wenn ihr auf einem Caterpillar-Weg oder einem unbefestigten Weg spazieren geht, wo eine unbewachsene Böschung ist, könnt ihr Gesteinsformationen sehen. Da seht ihr dann die Schichten im Gestein und dass sie nicht immer gerade verlaufen, besonders wenn im Gestein Schiefer ist, sondern diese auch gefaltet sind. Im Gestein selbst könnt ihr also auch diese Faltungen feststellen. Ihr seht, es gibt viele Beobachtungsmöglichkeiten, um Falten zu studieren.
Findet für eure Faltungen zunächst ein paar Linien, die den höchsten Punkt der Falte darstellen. Es kann ein Grat von einem Berg sein, oder ihr studiert ein Stück Stoff oder ein Geschirrtuch, das ihr faltet, wenn euch das lieber ist. Ihr habt alle Möglichkeiten, aber ihr beginnt immer damit, als erstes die höheren Linien, dort wo der Grat der Falte ist, auf eurem Zeichenblatt zu markieren, um die Falte festzumachen.
Ihr könnt sehr einfach beginnen. Nämlich mit einem Raster, sodass ihr durch diese einfache waagrechte und senkrechte Linienführung sehen könnt, wo ein Scheitelpunkt kommt und was die Linie in dieser Falte machen muss. Beobachtet genau, wie die Linie weitergeht.
Danach könnt ihr eure Faltungen sehr schön frei erfinden. Wenn ihr in die Natur geht und mehrere Hügel oder schroffe Felsen oder das Gestein beobachtet, dann seht ihr, wenn diese Faltungen den Höhepunkt erreicht haben, tut sich dort etwas in der Struktur, es faltet sich wieder in die Tiefe hinunter. Dann könnt ihr frei eine kleinteilige Struktur erfinden, die ihr überall anwendet.
Ihr entwickelt sie wie eine Berglandschaft von oben, die sich faltet. Auch das Hell und Dunkel von Hoch und Tief könnt ihr sehr schön einsetzen. Genauso die Proportion von Größer und Kleiner in den Elementen, die eine Räumlichkeit vorschlagen. Eine Faltung ergibt immer auch eine perspektivische Linie, indem ihr nämlich eine Richtung innerhalb der Faltung einschlägt. Das soll euch zu abstrakten Lösungen verführen, um diese Faltungen zu studieren oder auch zu erfinden.
Und um alle Parameter, die in der Zeichnung so wichtig sind, miteinfließen zu lassen. Die Qualität der Linie, die Verteilung der Elemente, die Proportionen Größer und Kleiner und Hell und Dunkel, das Verhältnis der Linien zueinander, wie sie miteinander korrespondieren.
Wenn euch ein ganzes A3 Blatt mit diesen Faltungen zu viel Arbeit ist, ist das in Ordnung. Ich überlasse es euch, ob ihr ein ganzes Blatt vollmacht oder euch eine Stelle aussucht, die sich unglaublich spannend in den Bildraum hinein entwickelt. Dort ist aber das Weiß des Zeichenblattes mindestens so wichtig wie das, was ihr zeichnet. Das Weiß ist in die Planung und die Gestaltung des Bildes mitintegriert.
Das sind nun viele wichtige Parameter. Wir haben sie aber im Detail alle schon geübt und ich denke, dass ihr tatsächlich reif für die Faltungen seid, die schwer erschienen, die aber leicht sind und die euch Spaß machen werden. Bleibt schön bei euch. Schaut, dass ihr vor dem Zeichnen eine Übung macht, die euch zu euch selbst führt. Atmet gut ein und aus. Seid euch eurer Haltung, eurer Position am Tisch, eurer Position im Raum bewusst. Nehmt den Raum um euch wahr, nehmt das Zeichenblatt vor euch war. Natürlich könnt ihr die ersten Faltlinien, diese Scheitelwendepunktlinien, auch blind anlegen. Das hilft, wenn ihr noch nicht so genau wisst, wie’s geht. Aber ich denke mir, dass ihr mit dieser Übung ein sehr schönes Konzept von Faltungen entwickeln könnt, das sehr vielfältig und sehr erstaunlich ist.
Ich wünsche euch, dass ihr selbst über eure Faltungen überrascht sein mögt. Viel Spaß und viel Erfolg!