Licht durch Kontrast

In diesem Impuls möchte ich mit euch wieder einmal das sehr, sehr große und wichtige Thema Licht besprechen, denn in der Zeichnung das Licht zu bemühen, scheint ja zunächst widersinnig, denn wir zeichnen ja schon auf ein weißes Papier. Die Zeichenfläche ist hell und jeder Strich macht die Fläche eigentlich dunkler. Trotzdem ist das Licht im Bild viel mehr als nur die Helligkeit im Blatt. Es ist zunächst dieser Wechsel von Hell und Dunkel, dieser Kontrast. Dieses Hell-Dunkel erzeugt eine gewisse Atmosphäre. Wenn wir erahnen, was hell bleibt und was dunkel sein soll, die Ahnung erzeugt eine Atmosphäre.

Die einzige natürliche Lichtquelle ist unsere Sonne. Sie scheint immer – bekannterweise dreht sich ja die Erde um die Sonne – und beleuchtet die Dinge wie vor Millionen von Jahren auch. Es hängt immer davon ab, wie sich die Erde zur Sonne wendet, aber die Sonne selbst scheint immer gleich. Dennoch sind unsere Wahrnehmung und die Darstellung von Licht einem so großen Wandel unterworfen.

Warum ist das so? Natürlich hat das mit unserer Kulturgeschichte zu tun und auch mit unseren Möglichkeiten des Wahrnehmens. In Europa ist in der Malerei erst in der Neuzeit entschieden auf das Phänomen Licht aufmerksam gemacht geworden. Das hat es vor Caravaggio und seinen Zeitgenossen nicht gegeben. Rembrandt hat dann die Beleuchtung als solche zum wichtigsten Mittel seiner Bildgestaltung gemacht. Der spezifische Charakter des Lichtes im Bild entscheidet darüber, wie wir das Motiv wahrnehmen: Ist es deutlich, ist es geheimnisvoll, ist es aufregend, schmeichelnd, aggressiv? Ihr seht, das Licht erweckt die Dinge und die Räume zum Leben.

Immer wieder können wir dabei die Frage stellen: Wie kommt denn nun das Licht in unsere Zeichnung hinein? Auf jedem neuen Blatt stellen wir uns die Frage, was mit dem Licht ist. Ist unser Weg eine scharfe Kontur, also ein sehr kräftiger Kontrast aus tiefem Schwarz und reinem Weiß, oder besteht er aus vielen weichen Übergängen, von vielen Nuancen von Grau? Die verschiedenen Stufen und der unterschiedliche Charakter von Licht sind also ausschlaggebend für das Wesen der Zeichnung, für das was wir empfinden, für die Atmosphäre, für den Ausdruck.

Ich möchte euch eine Licht-Hell-Dunkel-Übung vorschlagen, die einfach ist und die wir noch nie in dieser Form geübt haben. Ihr arbeitet mit Querstrichen – und ich sage Striche, ich sage nicht Linie, denn eine Linie ist viel länger. Also so wie der Schwung eurer Hand es hergibt, zieht ihr waagrechte Striche.

Definiert euch zuerst ein Rechteck und innerhalb dieses Rechteckes entstehen Säulen aus den Strichen, die ihr waagrecht von oben nach unten zieht. Ihr beginnt ganz kräftig, der erste Strich ist sehr kräftig, sehr eng und wird immer leichter bist er unten ganz hell ist. Versucht einen annähernd stufenlosen Übergang von oben nach unten, von dunkel nach hell, in dieser Säule. Und dann geht ihr in derselben Weise gegengleich vor.

Also die erste Säule geht von oben dunkel nach unten hell und die nächste Säule gleich anschließend ist von unten dunkel nach oben hell. Die dritte Säule schließt an wiederum von dunkel oben, hell nach unten und so weiter wiederum hell von unten, dunkel nach oben. Ihr könnt viele Säulen nebeneinanderstellen, so wie es euer Platz auf eurem Blatt hergibt. Schöne Hell-nach-dunkel-Übergangssäulen, die aber immer gegengleich dastehen. Da wird es interessant und zeichnerisch wunderbar, dass sich diese Striche der Säulen, wenn sie nebeneinanderstehen, begegnen.

Da gibt es kleine Überlagerungen. Es entstehen überlagernde Konturen zwischen den Säulen, wie eine Linie, die nicht ganz gerade ist, weil ja die Striche nie gleich lang werden. Da hüpft also eine senkrechte Linie zwischen den Säulen, in der Überlagerung. Die Anstrengung ist, dass ihr den Teil des Dunklen in dieser Strichführung der Säule immer gleich groß haltet. Was dann entsteht, ist wie eine Zackenlinie, wie Burgzinnen, durch den Wechsel von hell und dunkel. Vielleicht klingt das jetzt kompliziert, aber es ist sehr einfach, probiert es einfach aus.

Es ist eine lustige Übung, eine lohnende Übung, und eine sehr vielfältige Übung, weil ihr das natürlich noch ausbauen könnt. Wenn ihr sagt, ich habe noch viel mehr Zeit und viel mehr Lust, könnt ihr unter diese Säulen, die jetzt in einem Rechteck stehen, ein zweites Rechteck setzen und neue Säulen anschließen. Und letztlich wie ein Gitter aus diesen Säulen bestehend über das ganze Blatt legen, die Reihe für Reihe immer wechseln, dunkel von oben nach unten hell, dunkel von unten nach oben hell und so weiter. Und darunter die nächste Reihe und hier wechselt ihr wieder. Ihr könnt daraus ein Spiel machen und eine sehr schöne große Fläche gestalten.

Wie immer, setzt euch gut zum Zeichnen. Dehnt euch, streckt, bewegt euch ein bisschen, und atmet gut in euch hinein, sodass ihr ganz bei euch seid. Atmet tief in euch hinein und greift erst dann zum gespitzten Zeichenstift, der immer eine sehr präzise Modulierung von Strich und Linie von euch erbittet, sodass ihr in diesen Querstrichen, in diesen Säulen von Dunkel nach Hell auch ganz zauberhafte, wunderschöne Striche oder Linien habt.

Ich wünsche euch sehr gutes Gelingen und viel Spaß am Zeichnen!