Karfreitagsratschen
Wir sind in der Osterwoche angelangt. Die Osterwoche ist eine Woche voller Brauchtum. Das Osterfest ist das größte Fest, das wir im Christentum feiern. Weihnachten erscheint uns größer, weil der Advent und die Geburt Christi uns besonders als Kinder freudig auf ein großes Fest eingestimmt haben. Ostern hingegen ist geprägt vom Leiden Christi und der Auferstehung. Durch das Wunder der Auferstehung ist das Osterfest die größte christliche Festivität.
Was hat das nun mit dem Zeichnen zu tun? Es gibt ein sehr markantes Instrument in der Osterwoche, das wahrscheinlich viele von euch kennen, und zwar sind das die Karfreitagsratschen. Das ist ein Holzinstrument, das zu Ostern anstatt der Glocken verwendet wird. Denn die Tradition und der Glaube ist, dass die Kirchenglocken in dieser Zeit nach Rom fliegen. Sie fliegen am Gründonnerstag nach dem Gloria der Messe nach Rom und in der Nacht von Karsamstag auf Ostersonntag, zur Ostermette, wieder beim Gloria, kommen sie zurück.
Was tun die Glocken in Rom? Dazu gibt es unterschiedliche Versionen: Die einen sagen, die Glocken fliegen zur Beichte nach Rom, die anderen sagen, sie fliegen aus Scham nach Rom. Auf jeden Fall müssen die Glocken dort beten. Aus meiner Sicht ist es vor allem ein Ausdruck der Trauer.
Glocken vermitteln ein fröhliches Gefühl, ein festliches Gefühl. Wenn wir Glocken hören, wissen wir, eine Messe beginnt oder etwas Besonderes ist während der Messe im Gange. Glocken läuten zu Hochzeiten, zu Taufen, oder auch zu Begräbnissen oder auch bei Krönungen. Wenn Glocken läuten gibt es auf jeden Fall etwas Festliches.
Wenn also die Glocken in dieser Zeit der Karwoche schweigen, hören wir stattdessen die Ratschen, die auch ziemlich laut sind. Die Ministrantenkinder gehen am Karfreitag und am Karsamstag mit den Ratschen, in bestimmten Abständen, um sechs in der Früh, um elf, um zwölf und so weiter.
Die Kinder gehen dann um die Kirche oder in der Nähe der Kirche herum und während sie ratschen, beten sie dazu Sprechverse. Ein berühmter Spruch um 11 Uhr lautet: „Liebe Leute, lasst euch sagen, unsere Uhr hat 11 geschlagen“. Um 12 ist es: „Dies ist der englische Gruß, den ein jeder Christ beten muss. Fallet nieder auf die Knie und betet ein Vater Unser und drei Ave Marie“. Der „englische Gruß“ meint natürlich den Gruß der Engel, der zu beten ist. Das alles ist mit sehr, sehr viel Tradition verbunden und auch wenn die Glocken vielleicht nicht nach Rom fliegen, sind sie zumindest still, grabesstill.
Interessant ist, dass Ratschen, also das Brauchtum des Ratschens, 2015 von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe in Österreich anerkannt wurde. Die Ratsche ist ein Lärminstrument, oder auch Schrappinstrument. Es hat einen Resonanzkörper aus massivem Hartholz, wie Eiche oder Ahorn. Eine richtige Ratsche ist circa 30 cm lang. Mit einer Kurbel wird eine Walze mit Noppen, oder auch Nocken genannt, in Bewegung gesetzt. Dadurch werden Holzleisten angehoben und beim Zurückschnellen erzeugen sie dieses ratschende Geräusch. Davon leitet sich auch der Name dieses Instrumentes ab. In unterschiedlichen Gegenden werden sie unterschiedlich benannt, Reitschen, Räppeln, Kassingen, Rappeln, Klappern, Kleppern, und viele mehr.
Jetzt schaut bitte dieses Objekt der Ratsche genau an. Was ist eine Ratsche, wie sehen wir sie und wie können wir sie zeichnen? Das ist meine Anregung für heute, so eine Ratsche zeichnerisch genauer zu betrachten. Ihr könnt sie entweder in der Nähe der Kirche beobachten und euch live ansehen – zu Mittag, um kurz vor zwölf, wird sicher geratscht. Oder ihr begebt euch in ein Geschäft und schaut euch dort Ratschen an, oder ihr geht ins Internet. Der Resonanzkörper ist recht einfach, er ist rechteckig, und die Schnäppchen sind lange rechteckige Formen, die Noppen sind auch einfach, die Walze ist einfach, der Griff ist einfach. Schaut euch das gut an. Macht eine lineare Zeichnung. Wenn ihr eine bestimmte Breite von diesem Holzkörper und allen anderen Teilen, die dreidimensional zu verstehen sind, meint, ist es gut, wenn ihr in parallelen Linien denkt und Doppellinien macht.
Ihr studiert zunächst nur die Form der Ratsche, welche Linien es gibt, und gebt keine Struktur hinein. Aber ihr könnt in einem nächsten Schritt die Idee der Struktur umsetzen, indem ihr auf einem Blatt die Form der Ratsche und auf einem anderen Blatt die Struktur, den Klang der Ratsche visualisiert. Welche Struktur hat die Ratsche, wie klingt sie für euch? In der Struktur habt ihr keine Form, und in der Form keine Struktur.
Strukturübungen sind formbefreit. Für diese Übung, bei der ihr die Struktur der Ratsche studiert, zeichnet ihr euch einen Ausschnitt auf eurem Blatt an und füllt ihn mit sehr vielen kleinen Elementen, die eben diese Struktur, die ihr hört, widerspiegeln. Wie ein Overall eurer Zeichnung. Eine Struktur meint nicht Form, eine Struktur meint nur die Struktur in sich selbst, die vielleicht in einer Form endet, die wir aber nicht fokussieren. Die Form ist in der Ratsche und die Struktur ist auf einem weiteren Blatt. Daraus entsteht ein sehr schönes zeichnerisches Diptychon. Diese beiden verschiedenen Situationen – Form und Struktur – haben nicht auf einem Blatt Platz, aber der innere Zusammenklang von der Form und der Struktur der Ratsche auf zwei verschiedenen Blättern ergibt eine zweiteilige Arbeit, ein Diptychon.
Ich wünsche euch ein schönes Studium aufgrund der Ratschen. Ihr beschäftigt euch zeitgenössisch mit etwas, das ein altes Brauchtum, ein Kulturerbe ist. Vielleicht hört ihr sie auch, wenn nicht live, dann doch im Radio. In Österreich ist immer um 12 Uhr in den Regionalradios der Glockengruß eines Ortes zu hören und am Karfreitag und Karsamstag hören wir die Ratschen.
Ich wünsche euch sehr schöne Ostern! Habt die Muße, in die Natur zu gehen und euch zu reduzieren. Die Ratschen sind ein sehr reduziertes Instrument, da gibt es keine Schwünge und Schnörkel, das ist ein sehr einfaches Instrument. Also reduziert euch. Das meint auch die Osterwoche: sich auf das Wesentliche reduzieren und konzentrieren.
In diesem Sinne wünsche ich euch ein schönes und friedvolles Osterfest. Alles Liebe!