Schillernde Libellen

Mit dem Schmetterling habt ihr euch schon den feinsten Linien angenähert und ich möchte das in diesem Impuls mit einem Thema noch vertiefen, erweitern und verfeinern, und zwar mit dem Thema Libelle. Die Libelle ist von allen Insekten sicherlich das filigranste, zauberhafteste Wesen, das unserem Auge erscheinen kann. Libellen sind besondere Wesen, weil sie so durchsichtig, transparent oder schillernd in blau und grün erscheinen und nur sehr flüchtig zu sehen sind.

Es sind über 6300 verschiedene Libellenarten bekannt, die unterteilt sind in die Urlibelle, die Urlibelle kommt nur mehr im Himalaya vor, in China und Japan an manchen Stellen. Dann gibt es die Großlibellen, die wir kennen und die Kleinlibellen. Die unterscheiden sich nicht nur in der Größe, sondern auch insofern, dass die kleineren Libellen, also die zur Familie der Kleinlibellen Gehörenden, gleich große Flügel haben.

Bei den großen Libellen allerdings gibt es bei den Flügelpaaren einen größeren und einen kleineren Flügel. Interessant ist auch, dass diese Flügel unterschiedlich gesteuert werden können. Sie müssen nicht alle zur selben Zeit dasselbe tun, sondern sie können ganz unterschiedlich bewegt werden und daher ist es möglich, dass die Libellen eine solche ruckartige Wende einnehmen können.

Das ist das Spannende daran, einer Libelle zuzuschauen, dass man nicht weiß, in welche Richtung sie weiterfliegt, plötzlich nimmt sie eine andere Richtung ein. Natürlich sind die Flügel das Attraktivste an der Libelle, weil sie so schön gezeichnet sind. Das bitte ich euch zeichnerisch ganz genau anzuschauen.

Was die Libelle auch auszeichnet, ist ihr Sehapparat. Sie hat über dreitausend Facettenaugen und kann wahrscheinlich am besten von allen Insekten sehen. Das ist auch am Kopf sichtbar, dass der Sehapparat sehr stark ausgebildet ist, auch wenn das Tier klein ist. Es gibt bei den verschiedenen Libellenarten die unterschiedlichsten Färbungen: von transparent über leicht grünstichig, von Smaragdgrün ins Azurblau, die unterschiedlichsten blau schillernden Töne, manche sind ganz blau, manche sind nur leicht blau.

Libellen sind stark ans Wasser gebunden Tiere, weil sie ihre Eier im Wasser ablegen. Sie brauchen ihren Lebensraum in der Nähe von Teichen, Seen, bei kleineren Tümpeln oder Bächen. Das lieben die Libellen. Libellen sind sehr gefräßige Tiere. Sie gehen auf alles los, was ihnen in irgendeiner Form erjagbar erscheint, durchaus auch größere Insekten. Sie fressen also alle Insekten, die sie irgendwie packen können.

Umgekehrt haben sie auch Feinde. Das sind zum einen Ameisen, die sich gerne der kleinen Eier der Libellen habhaft machen, zum anderen Frösche oder Wespen, die sich gerne die Libellen schnappen. Diese Feinde kennen die Libellen. So ein Libellenleben dauert sehr, sehr kurz. Sie fliegen in ihrer Pracht nur maximal sechs bis acht Wochen, manche sogar nur zwei Wochen.

Wenn ihr eine Libelle seht, wisst ihr auch, das ist ein so ein kurzer Moment aus dem Leben einer Libelle. Dem Angesicht zu werden ist bemerkenswert. Das lässt einem auch die Zeitdimension eines Lebens sehr bewusstwerden.

Woher kommt der Name Libelle? Die Libelle bedeutet im Lateinischen das Gleichgewicht, die Waage, und das ist einfach, weil sie in der Luft stehen können, weil sie mit dem langen Teil ihres Hinterteils sich gut still verhalten können und mit diesem bekannten Flügelbewegungen.

Der Vorderteil der Libellen ist dreigliedrig, wie bei allen Insekten, das Hinterteil allerdings zehngliedrig und das macht es sehr beweglich. Das ist wichtig für die Eiablage, aber eben auch für den Flug, dass sie das Gleichgewicht halten können. So ist die Libelle von ihrem Verhalten und von ihrem Können her ein vielfach interessantes Wesen.
Auch die Literatur und die Musik sind von Libellen durchzogen. Es gibt viele Gedichte an die Libellen, bekannte Gedichte haben etwa Annette von Droste-Hülshoff und Heinrich Heine über die Libelle geschrieben. Libellenflüge tauchen immer wieder in einzelnen Musikstücken auf, wie bei Camille Saint-Saëns, und auch in der zeitgenössischen Musik.

Das Ziel der Libelle als Zeichnung ist, dass ihr die Aufmerksamkeit auf die feinen Linien der Libelle legt. Ihr habt schon beim Schmetterling diese filigranen Beinchen versucht, diese feinen Linien an den Flügeln. Das geht noch ein bisschen feiner bei der Libelle. Ganz, ganz dünne Linien. Nehmt einen harten Bleistift und spitzt ihn ganz spitz oder noch besser, einen Druckbleistift, den ihr mit einem feinen, scharfen Messer, vorne die Mine noch spitzer macht. Versucht die Linien so dünn wie möglich.

Ihr zeichnet sie an und dann könnt ihr sie ein bisschen betonen. Habt viel Freude an diesen dünnen Linien. Ganz dünn, ganz präzise. Die Linie ist das Wichtigste in der Zeichnung, dass sie schwingt und dass sie nicht geschmiert ist. Dass sie präzise ist und schwingt, im Sinne von zarter und kräftiger werden. Das ist die Aufgabe.
Wenn es euch zu viel ist, ein ganzes Wesen Libelle zu studieren, macht nur einen Teil davon. Studiert nur einen Ausschnitt des Flügels, nur die Beinchen, nur die Augen. All das könnt ihr studieren. Ihr werdet sicher Bilder oder Fotos von Libellen für euch finden, die ihr dann studieren könnt.

Von der Naturbeobachtung her ist es sehr schwierig, einer Libelle länger Angesicht zu werden, weil sie einfach sehr flüchtig sind. Dennoch wünsche ich euch einen Libellenflug mit eurem Bleistift.

Einen zarten, vibrierenden, schönen Linienflug eurer Stifte und damit ein großes Zeichenvergnügen!