Kontur

Jede Form hat eine Kontur. Die Kontur ist das, was wir mit unseren Sehfähigkeiten und den Möglichkeiten, wie unser Auge gebaut ist, jedenfalls wiedererkennen. Wir sind Sehende, die den Umriss brauchen, um etwas wiederzuerkennen. Das ist für die Zeichnung natürlich von besonderem Interesse. Wenn wir von der Kontur sprechen, sprechen wir auch von Umriss oder Silhouette. Diese drei Wörter kennt ihr wahrscheinlich aus der Alltagssprache, sie meinen immer dasselbe, aber werden in unterschiedlichen Kontexten verwendet. Das Wort Umriss kommt von „ritzen“ oder „reißen“, genauso wie Aufriss, Grundriss oder Schrägriss, das alles hat Bedeutung für die Zeichnung.

Jedenfalls ist der Umriss, die Kontur, die Silhouette eine Linie, die etwas umschreibt. Das kann jedes beliebige Formelement sein, bei dem wir nur die äußere Form studieren, eine Vase oder eine Teekanne oder eine Pflanze, das menschliche Gesicht oder der menschliche Körper oder die Kontur einer Stadt. Das kennt ihr von Ansichtskarten, auf denen vorne die dunkle Silhouette der Stadt ist, die hinten durch ein schönes Licht begrenzt wird.

Der Umriss eines Objektes hängt nicht nur von der Form des Objektes ab, sondern auch von der Richtung, aus der ein Betrachter das Objekt beobachtet. Damit kommen wir zu einem spannenden Experiment: Ich lade euch ein, euch eine Lichtquelle zu richten. Wahrscheinlich ist es gut, wenn ihr das an einem Zeitpunkt des Tages macht, wenn die Lichtquelle einen klaren Schatten wirft. Das funktioniert am besten, wenn es draußen dunkel ist und ihr eine Lampe aufstellt, die ein helles Licht wirft. Oder ihr nutzt die durchs Fenster hereinfallenden Sonnenstrahlen. Dann legt ihr ein Blatt Papier auf den Boden, die Wand oder den Tisch und legt einen Gegenstand vor eure Lichtquelle, sodass er einen Schatten auf euer Blatt wirft. Von diesem Schatten nehmt ihr den Umriss ab. Der Gegenstand kann alles Mögliche sein, was euch immer euch interessiert, ein Gefäß, eine Schere, eine Vase, eine Teekanne, eine Tasse, ein Glas, eine Pflanze, ein Polster, etwas aus eurem Badezimmer, oder was immer. Auf jeden Fall habt ihr die Möglichkeit, durch die Neigung eine Verzerrung zu erzeugen, sodass die Kontur nicht 1:1 dem Objekt, das den Schatten wirft, entspricht.
In der Kunsttheorie spricht man auch von einem Schattenriss und meint damit eben das Abzeichnen von diesem Schatten, den eine Form auf das Papier oder die Leinwand wirft. In der weiteren Folge können wir uns auf zwei Momente des Zeichnens konzentrieren. Die erste Möglichkeit ist, dass ihr ganz bewusst im Sinne vibrierender Linien die Kontur des Schattens zeichnet, die Kontur dieses Gegenstandes, den ihr ausgewählt habt, als Schattenriss studiert.

Wenn ihr das Zeichenblatt dann aus dem Schattenobjekt herausnehmt, habt ich nur noch diese Linie, die die Kontur umschreibt. Ihr könnt diese eine Linie in einer so spannenden Weise zeichnen, dass es genügt, nur diese eine Linie zu haben. Oder ihr könnt euch entscheiden, mehrere Schattenlinien abzunehmen, die versetzt sind, und dadurch eine Räumlichkeit erzeugen, als ob mehrere, transparente Objekte sich hintereinander oder übereinander oder in verschiedener Distanz zueinander im Bildraum befinden.

Die zweite Möglichkeit ist, nachdem ihr die Kontur des Schattens abgenommen habt, die Form, die dadurch entstanden ist, mit schwarzer Farbe zu füllen. Das kann mit Tusche sein, das kann mit Kohle sein, das kann mit Bleistift sein. Ihr füllt diese Form, die ihr mit dem Schatten erzeugt und deren Umriss ihr angezeichnet habt, mit ganz feinen, eng beieinander liegenden Strichen, schön gleichmäßig, damit es ganz dunkel wird. Diese Form wird sehr speziell, weil das Weiß des Blattes und das nahezu Schwarz des Schattenrisses, der gefüllten Form, eine sehr hohe Dynamik von Hell und Dunkel ergibt.

Beobachtet, welche Möglichkeiten ihr sonst noch findet. Unter Umständen nehmt ihr den Fotoapparat, geht in die Natur und arbeitet mit dem Fotoapparat gegen das Licht. So könnt ihr genauso Silhouetten von Objekten hervorheben. Probiert das aus und übersetzt das Foto im nächsten Schritt in die Zeichnung.
Auch Piktogramme sind grafische Darstellungen von vereinfachten Umrissen von Objekten. Ich meine mit dieser Konturübung aber nicht unbedingt Piktogramme, außer es macht euch Spaß es zusätzlich auszuprobieren, dann sind auch Piktogramme natürlich eine lustige Beschäftigung mit diesem Thema.

Ihr seht schon, dieses Thema der Kontur bietet sehr viele Möglichkeiten. Ihr könntet ein Jahr lang täglich neue Ideen zu diesen Schattenumrissen und den daraus entstehenden Formen finden, neue Formen daraus ableiten, dasselbe Objekt in verschiedenen Perspektiven ausprobieren und es immer weiter verfremden.
Je nachdem, wo ihr eure Lichtquelle positioniert und aus welcher Richtung das Licht auf euer Objekt trifft, verändert sich der Schatten und ist einmal sehr gestaucht oder sehr in die Länge gezogen und so weiter. Dadurch verfremdet ihr den Gegenstand und es ist auf den ersten Blick nicht mehr klar, um welche Form es sich ursprünglich handelt. Dieses Experiment schlage ich euch für diese Woche vor und wünsche euch, dass ihr Freude daran habt, es zu versuchen. Ich wünsche euch dabei gutes Gelingen und sehr viel Erfolg!