Misteln

In diesem Impuls beschäftigen wir uns mit einer Pflanze, die natürlich einen besonderen Bezug zur Jahreszeit Winter hat: die Misteln, die kennen wir alle. Sie wachsen als Parasiten auf Bäumen, manche auch in Sukkulenten oder als Wurzelparasiten. Meist werden sie dort wirksam, wo die Bäume schon älter sind, und werden durch die Vögel übertragen.

Tatsächlich stammt der Name Mistel von „Mist“, weil die Mistelsamen von Vögeln – besonders von der Misteldrossel, aber auch anderen Arten – gefressen werden und dann mit der Ausscheidung, also mit dem Vogelmist, wieder auf die Bäume kommen. Manche Vögel streifen auch das Schnäbelchen nach dem Fressen der Mistelsamen an der Baumrinde ab, weil das so klebrig ist, und pflanzen so die Samen in die Baumrinde ein. Misteln sind immergrün und kommen in allen gemäßigten Breiten, aber auch in den Tropen und Subtropen vor.

Sie sind also auf der ganzen Welt verbreitet, können sehr unterschiedlich aussehen und werden in der Gattung seit weit beschrieben; man sagt es gibt zwischen 400 und 1700 Arten von Misteln. Der Mistelzweig hat natürlich eine symbolische Bedeutung und diese Bedeutung kommt aus der germanischen Mythologie. Die Misteln bilden ab, dass die germanischen Götter miteinander gekämpft haben. Der eine, Loki, tötet den anderen, Balder, der wiederum der Sohn von Odin und Frigg ist. Und zwar bindet Loki dem blinden Hödr einen Mistelzweig auf den Bogen, der auf Balder zielen lässt.

Diese Misteln sind Balders „Achillesferse“, da alle Elemente und Lebewesen der Erde ausgenommen der Mistel geschworen haben, dem jungen schönen Gott nichts zu leide zu tun. Also die Mistel kann ihn verletzen, deswegen hat Loki dann versucht, Balder mit diesem Mistelzweig am Bogen zu töten. Aber es gibt auch nettere Geschichten um die Misteln.

In den USA und in England ist der Brauch, Mistelzweige vor Wohnungen und vor Häusern oder über Türen aufzuhängen und sich darunter zu küssen, das bringt Glück oder sogar die Ehe mit dem Geküssten. Die Misteln kommen auch in den Asterix-Comics vor. Dort sind sie Bestandteil des Zaubertranks, den der Druide Miraculix braut. Erst die Misteln im Trank verleihen den Bewohnern die unglaublichen Kräfte zur Verteidigung des letzten, von den Römern noch nicht eingenommenen gallischen Dorfes. Das ist sehr berühmt.

Die Autoren von Asterix sind wahrscheinlich vom Bericht des Plinius inspiriert worden, der erzählt hat, dass die Priester der Gallier – eben die Druiden – die Misteln und die Bäume, auf denen diese wachsen, als heilig verehrten. Also das ist ein sehr, sehr langer Brauch der Druiden. Übrigens sind die Druiden seit einigen Jahren wieder eine anerkannte öffentliche Religion in Großbritannien.

Es gibt dort viele druidische Ritualplätze in den Wäldern, es ist ein sehr lebendiger Glaube. Die Misteln werden im Volkstum auch Donnerbesen, oder Druidenfuß, oder Hexenbesen, Hexenkraut, Wintergrün, Bocksbutter, Albranken, Vogelkraut oder Kreuzholz genannt. Also, sie haben eine mystische Bedeutung. Man sagt auch, dass Misteln in der alternativen Medizin verabreicht antikanzerogene Wirkung haben. Das heißt, bei Patienten mit Krebserkrankungen sollen die Misteln besonders wirksam sein. Es ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen fraglich, ob das tatsächlich hilft. Aus meiner Beobachtung kann ich sagen, dass es jedenfalls die Lebensqualität massiv steigert, auch wenn der Mensch unheilbar an Krebs erkrankt ist. Das kann die Mistel.

Kommen wir zum Zeichnen. Die Mistel ist eine sehr markante Pflanze auf den Bäumen, von weitem kann man schon sehen: „Ah, da oben sind Misteln.“ Und die sind sehr attraktiv. Vielleicht habt ihr Misteln in eurer Vase oder vor eurem Haus hängen, oder sonst könnt ihr hier auf den Fotos sehen, dass sie sich vom Stamm sehr einfach immer wieder doppelt verzweigen, bis sie endlich zweiblättrig enden.

Zwischen drinnen sind manchmal weiße Beeren, das sind die weißbeerigen Misteln. Es gibt auch viele andere Arten: rote Beeren, orange Beeren, in Trauben gesetzte Beeren und so weiter. Aber wir wollen uns einmal auf diese, die ihr hier sehen könnt, konzentrieren. Versucht diese Misteln einmal genau zu studieren, als Naturstudie. Schaut sehr genau hin. Das Wesen ist sehr genau. Zeichnet die Stämme nicht zu dick.

Versucht wirklich, die Proportionen im Verhältnis zu den Blättern so zu belassen, dass es eindeutig ein Mistelzweig ist. Nicht irgendein Monster oder schon übertrieben als Hexenbesen dargestellt, das kann vielleicht in einer weiteren Übung kommen. Sondern zunächst einmal eine wirkliche Naturstudie.

In der weiteren Folge, wenn ihr die Mistel so gut studiert habt, dass ihr das Gefühl habt, ihr habt ihr Wesen verstanden, nehmt ihr ein neues Blatt, schließt die Augen und versucht mit dem Gefühl für dieses Wesen Mistel, ohne hinzuschauen, sie noch einmal zu zeichnen. Ihr werdet staunen, wie locker die Linie ist und wie viel ihr euch von dieser Pflanze gemerkt habt. Diese Misteln zu zeichnen hat eine fast reinigende Wirkung. Es ist ja ein magisches Kraut, es wehrt das Böse ab.

Im Dezember und auch am Beginn des Jänners haben wir die Raunächte zu erwarten. In diesen Raunächten geht’s wild ab, da sind die Geister unterwegs und treiben alle möglichen Unwesen. Aus den verschiedensten religiösen Kulturen wollen sie gezähmt und gebannt werden. Die Mistel ist ein Zweig dazu.

Also bannt eure inneren Geister, eure in dieser Zeit vielleicht manchmal mühseligen Gedanken, dass etwas schwierig sei, dass manches euch bedrückt oder besorgt. Wenn es auch tatsächlich so ist, aber es ist manchmal nicht zu ändern. Also ist es nutzlos, wenn Situationen so sind, wie sie sind, sich Sorgen zu machen. Die Mistel soll euch dabei helfen, auf positive Gedanken zu kommen, in eine positive Schwingung zu kommen, die ihr fürs Zeichnen gut brauchen könnt. Bewundert das. Staunt über die Misteln.

Staunt auch darüber, was die Menschheit im Laufe ihrer Kulturentwicklung für Geschichten dazu erfunden hat, was die Mistel alles kann. Aus der Beobachtung heraus, aus dem Kosten heraus, aus dem Teekochen heraus, aus dem Genau-schauen. Auch aus diesem Spiel, eine Bezeichnung für diese Pflanze zu finden, das sich in diesem Wort „Mistel“ so schön wieder findet.

Diese Arbeit soll euch Freude machen, soll euch inspirieren und euch die negativen Gedanken aus dem Kopf bannen. Setzt euch gut hin, atmet gut durch, streckt euch, bewegt euch. Schafft euch einen schönen Zeichenplatz für diese Zeit, in der ihr zeichnet. Freut euch, dass ihr eine Pflanze studiert, die euch eure negativen Gedanken vertreibt und euch Hoffnung und Zuversicht gibt. Ich wünsche euch viel Erfolg mit den Misteln!