Parallele Linien
Was oft – quasi nebenbei – entsteht, wenn ihr eine Naturstudie macht, besonders dann, wenn ihr eine Blüte oder einen Baumstamm zeichnet, sind parallele Linien. Es ist gut, wenn ihr eine parallele Linie in der Kontur des Stängels oder des Baumstammes habt, zwei Linien nebeneinander, damit es kräftiger wirkt. Dieses Wort „parallel“ möchte ich in diesem Impuls gerne näher betrachten, weil es viele neue Möglichkeiten bietet. Denn diese Linien, die nebeneinander, parallel zueinander verlaufen, ergeben einen Linienklang, weil die Linien nicht ganz gleichmäßig schwingen. Dort, wo sie auf einer Seite zart ist, ist sie auf der anderen Seite stark und umgekehrt und so entsteht ein Linienklang.
Ich möchte euch eine Anregung geben, die ihr vielleicht aus eurer Kindheit und Schulzeit kennt, und die euch hoffentlich viel Freude machen wird. Ihr haltet zwei Bleistifte in der Hand und führt sie parallel über das Zeichenblatt. Wie einen zweistimmigen Parallelismus. Ihr könnt mit einer Wellenlinie beginnen oder ihr macht Zinnen, so wie bei einer Burg, Rechteck rauf, Rechteck runter.
Dadurch entsteht so etwas wie eine Winkelvariation. Dann schaut ihr, was passiert. Ihr könnt auch, wenn ihr es halten könnt, solche Stifte nehmen, in denen mehrere Minen sind. Wenn ihr diese parallele Linie habt, könnt ihr in dieser Bewegung ein zweites Mal etwas darunter ansetzen und so leicht versetzt einen vierstimmigen Parallelismus erzeugen, diesem Linienklang also vier Linien geben.
Mit diesen vier parallel verlaufenden Linien habt ihr schon eine Auswahl, wie ihr diesen Linienklang weiter gestalten könnt. Zum Beispiel könnt ihr die beiden untersten Linien miteinander verbinden, indem ihr den Zwischenraum mit kleinen Strichen ganz dunkel definiert. So entsteht plötzlich eine Räumlichkeit.
Von diesem vierstimmigen Parallelismus wäre die nächste Stufe, das Feld zwischen den Linien darüber flächig zu definieren. Ihr macht viele kleine Punkte, sodass auch dort eine Fläche entsteht. Die oberste Fläche, die noch frei ist, definiert ihr dann mit Querlinien. Dann werdet ihr entdecken, dass sich aus dieser Linienführung, ob das jetzt Wellen oder verschiedene Winkelformationen sind, fast etwas wie ein dreidimensionales Gebilde entwickelt.
Mit Hell und Dunkel. Die Linien sind also verwandt und zugleich kontrastieren sie und erhalten damit eine mannigfaltige Lebendigkeit, sie erzählen etwas. Das ist sehr interessant.
Ihr könnt versuchen, die Abstände zwischen diesen Linien immer gleich zu halten, sodass die Linien überall gleich weit auseinander gehen und gleiche Höhen und Tiefen haben. Dann habt ihr viele Gemeinsamkeiten zwischen den Linien, die ihr im nächsten Schritt flächig verbindet. Diese Variationen sind sehr lustig, ihr werdet noch viel mehr erfinden.
Wenn ihr nur einen zweistimmigen Parallelismus, also zwei parallele Linien macht, die ihr miteinander verbindet, könnt ihr zum Beispiel die aufwärts führenden Abschnitte ganz dunkel und kräftig definieren und die waagrechten und die abwärts führenden Abschnitte ganz zart, mit einer schönen Schraffur, oder sie auch leer lassen. Das geht auch, wenn ihr wellenförmige Linien habt: Dann ist das Heruntergehende leicht und das Hinaufgehende dunkel.
Es fallen euch sicher viele solcher Varianten ein, spielt mit Hell und Dunkel, mit den unterschiedlichen Winkeln und so weiter. Eine weitere Idee, die ihr ausprobieren könnt, ist folgende: Ihr zeichnet mit Bleistift eine Linie, die sich von links nach rechts bewegt, in Zacken oder Pyramiden oder Stufen oder Dreiecken, und dann könnt ihr eine gegenläufige Linie ziehen. Also dort, wo die erste Linie Zacken hat, macht ihr Bögen oder Pyramiden dort, wo Zacken sind. So könnt ihr eine gegenläufige, parallele, miteinander verwandte Situation schaffen, die euch neue Formen gibt, weil die Linien sich überschneiden und Formen bilden.
Das ist ein Spiel. Als Kinder haben wir das sicher alle gespielt. Ich erinnere mich noch, wie wir kaum zwei Stifte in der Hand halten konnten, in den kleinen Händchen, und sich dann die Linien geformt und wir einfach gespielt haben. Dieses Spielen könnt ihr jetzt vertiefen und verfeinern. Indem ihr statt zwei vier Linien parallel laufen lässt, die Abstände dazwischen flächig definiert und dadurch räumliche Gebilde schafft und plötzlich eine Geometrie einführt, räumliche Körper, die ihr so nicht erfinden hättet können.
Mit dem Hell-Dunkel-Kontrast habt ihr ausgesprochen viele Möglichkeiten, zu spielen und euch zu entdecken, in diesem spielerischen Liniengefüge von Linienklang, von Winkelvariationen und von zwei- oder vierstimmigen Parallelismen.
Ich wünsche euch gute Beobachtungsgabe und Spaß an diesen Übungen, die euch Lockerheit geben und vor allem neue Entdeckungen bieten sollen!
Alles Liebe!