Die Linien stürzen sich alle in den Fluchtpunkt
Ich denke, dass das Zeichnen etwas ist, das uns in schwierigen Zeiten und problematischen Situationen den Gleichmut geben und unsere Aufmerksamkeit auf andere Dinge lenken kann, die im Leben sehr kostbar sind, nämlich unsere Kreativität und unsere Ausdrucksfreude. Deswegen schlage ich euch in diesem Impuls eine Übung vor, die leicht ist und hoffentlich Spaß macht.
Wir haben schon über den Raum in verschiedenen Dimensionen gesprochen und heute möchte ich einen Begriff einführen, den ihr kennt, aber der für die Perspektive wichtig ist: Das ist der Fluchtpunkt. Ein Punkt, auf den sich der Blick richtet. Im Räumlichen, auf den Zeichnungen oder auch im Architekturgeschehen, ist das ein Punkt, den ihr selbst festlegt. Ihr könnt also, wenn ihr zeichnet oder ein Haus entwerft, entscheiden, wo sich alle Linien bündeln und so den Fluchtpunkt festlegen. Eigentlich ist es üblich, dass vorne am Blatt unten ist und hinten ist oben. Wir würden automatisch sagen, dass der Fluchtpunkt hinten ist, auf eurem Zeichenblatt also oben. Aber für diese Übung und das Nachdenken über den Fluchtpunkt möchte ich es genau umgekehrt beginnen.
Nehmt ein rechteckiges Zeichenblatt im Hochformat und zeichnet euch zuerst mit dem Lineal ein hochformatiges Rechteck in dieses Blatt hinein. Wie groß es ist, liegt an euch. Dann nehmt ihr einen Farbstift, zum Beispiel Rot oder Grün, und macht in der rechten unteren Ecke in eurem vorgezeichneten Rechteck einen roten oder grünen Punkt. Dann geht ihr folgendermaßen vor: Ihr beginnt bei diesem Punkt, setzt euren Stift an und entwickelt eine Linie, die an der unteren Kante des Rechteckes entlangläuft.
Und dann zieht ihr die nächste Linie und die nächste strahlenförmig im gesamten Rechteck, immer von diesem Punkt ausgehend, bis ihr bei der rechten Seitenlinie ankommt, also genau dort, wo der Punkt im Eck ist. So definiert ihr das Rechteck Linie für Linie. Ihr könnt für diese Arbeit vielleicht einen Filzstift oder auch einen Kugelschreiber verwenden. Nun ist es natürlich in der Natur der Sache, dass die Linien beim Fluchtpunkt, von dem sie ausgehen, zunächst einmal enger sind und außen im Rechteck weiter werden. Es entstehen sozusagen Miniatur-Tortenstücke. Zusätzlich dazu verändert ihr aber auch die Abstände zwischen den Linien. Zuerst überlagern sie sich fast, aber je höher sie auf der linken Seitenlinie hochklettern, desto weiter werden die Abstände. Wenn ihr dann bei der oberen horizontalen Seitenlinie des Rechtecks angekommen seid, verkleinern sich die Abstände wieder, die Linien werden enger, immer enger, bis sie dann rechts ganz eng sind.
So entsteht euer Fluchtpunkt rechts unten im Eck mit vielen Linien, die sich fast kreisförmig entfalten, aber eben durch dieses Rechteck beschnitten sind und sich wie Strahlen um den Fluchtpunkt verdichten. Die Linien stürzen alle in den Fluchtpunkt hinein. Wenn ihr das ganze rechteckige Blatt mit Linien definiert, die sich letztlich im Fluchtpunkt sammeln, dann verdünnt sich hier etwas, dann sammelt sich dort etwas und absolut verdichtet ist es um den roten oder grünen Punkt, als ob sich dort etwas kreisförmig um diesen Fluchtpunkt versammeln würde.
Ich hoffe, ihr habt Spaß dabei, diese Linien über das ganze Blatt zu verteilen, die eurem Fluchtpunkt zueilen, die sich aber nur innerhalb dieses Rechtecks bewegen dürfen.
Ich wünsche euch sensible Linien, Spaß an der Arbeit, und eine hoffnungsvolle, positive Einstellung, die ihr mit einer schönen Zeichnung verstärkt.